Komposita erschliessen: Kopfnoten
26. Juni 2008
Auch Muttersprachler kennen und verstehen nicht immer alle deutschen Wörter – und das nicht nur, wenn es sich um Fremdwörter handelt. Was mir meine Schüler nie glauben wollen, will ich an einem Beispiel illustrieren.
Beim WDR las ich, dass kirchliche Schulen in Nordrheinwestfalen keine Kopfnoten mehr geben müssen, dass Schüler gegen diese Kopfnoten demonstriert hätten und dass es auch sonst viel Widerstand dagegen gebe. Soweit so gut. Nur wusste ich leider nicht, worum es eigentlich ging. Was Noten sind, weiss ich natürlich, aber Kopfnoten? Zuerst dachte ich ja an die „kopflastigen“ Fächer wie Mathe und Physik, Fächer also, in denen man viel denken muss (zumindest ich), aber dass jemand in diesen Fächern auf Sekundarstufe die Noten abschafft und das Bildungsministerium dabei auch noch zu Kompromissen bereit ist, konnte ich mir nun doch nicht vorstellen.
Nach längerem Lesen anderer Artikel fand ich schliesslich die Lösung. Gemeint sind insgesamt 6 Noten für Sozialverhalten und Arbeitshaltung, die die Schüler auch noch im Gymnasium bekommen. Bei uns in der Schweiz (aber nur in der Primarschule) waren das früher die Noten für Betragen und Fleiss. Was das ganze nun mit Köpfen zu tun hat, ist mir immer noch nicht ganz klar. Es ist aber wieder mal ein schönes Beispiel für die relative Motiviertheit von Komposita. Relative Motiviertheit (Begriff von Saussure) bedeutet hier, dass man allein aus dem Sprachmaterial nicht ableiten kann, in welcher Beziehung der erste Bestandteil des Kompositums (Determinans) zum zweiten (Determinatum) steht.
Wer sich fürKomposita interessiert, kann im Artikel Von Nichtrauchern, Himbeeren und Falschgeld weiterlesen.
Abgelegt unter: Sprachbetrachtung,Wortschatz
6 Kommentare
1. U.Riethmüller | 26. Juni 2008 um 21:13
Vielleicht kann ich bei der Erklärung des Begriffes weiterhelfen. Kopfnoten hat in diesem Fall nichts mit ‚Köpfchen‘ zu tun, sondern bezieht sich auf die Position der Noten im Schulzeugnis. Sie stehen einfach oben auf dem Zeugnis oberhalb der anderen Noten, eben am Kopf des Zeugnisses.
Jeder, der in Deutschland zur Schule gegangen ist, hat hier einen Erfahrungsvorsprung.
Viele Grüsse
Ursula
2. Cornelia | 26. Juni 2008 um 22:43
Ach so! Fleiss und Betragen standen in meinen Zeugnissen immer am Schluss. Dass diese Noten gleich am Anfang kommen, überrascht mich ziemlich. Auf jeden Dank herzlichen Dank für den Hinweis.
Cornelia
3. Marc | 28. Juni 2008 um 21:18
Die Erklärung zur Herkunft des Begriffes ist völlig richtig, allerdings muss darauf hinwiesen werden, dass Kopfnoten in den meisten (westlichen) Bundesländern seit den 1960/70er Jahren abgeschafft und somit auch nur den älteren Semestern bekannt waren. Lediglich Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland haben Kopfnoten für Verhalten und Mitarbeit immer beibehalten. Daher also die aktuelle kontroverse Debatte um die Wiedereinführung in vielen deutschen Bundesländern!
PS. Damit ist natürlich noch nicht geklärt, WARUM die Noten im Kopf des Zeugnisses aufgeführt wurden und werden.
Gruß
Marc
4. Karin Bauer-Weisenstein | 3. Juli 2008 um 09:18
Hoi
Ich kann zwar auch nicht erklären, warum die Noten oben stehen – das war schon immer so!!! – aber ich denke, es gibt auch in der Schweiz den Begriff „Briefkopf“ für alles , was über dem eigentlichen Inhalt des Briefes steht (Adressen Datum, Betreff). Davon würde ich die „Kopfnoten“ ableiten.
Gruss,
Karin
5. Cornelia | 3. Juli 2008 um 11:39
Seit ich weiss, dass die Noten oben stehen, ist der Begriff für mich „durchsichtig“. Der Verweis auf den Briefkopf ist sehr schön.
Verblüfft hat mich halt vor allem, dass es so viele Noten zum Verhalten sind und dass sie auch noch am Anfang kommen. Da standen bei uns die Doppelzählenden Fächer.
Nichtschweizer haben mir schon öfter gesagt, dass wir die Schule und Leistung zu ernst nähmen. Vieleicht liegts daran. 🙂
6. DaF-Blog » Komposit&hellip | 18. Oktober 2008 um 09:42
[…] oft schwer ist, rauszufinden, was die Beziehung zwischen den Teilen eines Kompositums ist, habe ich schon mal erwähnt. Das Beispiel von heute ist diesmal nicht ein Missverständnis meinerseits, sondern eines […]