Duolingo

29. September 2013

Bei uns im Selbstlernzentrum haben wir in letzter Zeit immer mehr Leute, die sagen, dass sie mit Duolingo (meistens Spanisch) lernen. Da man mit Duolingo auch Deutsch lernen kann und ich wissen wollte, was die Lernenden daran fasziniert und bei der Stange hält und ob das ganze überhaupt etwas bringt, habe ich vor etwa sieben Wochen selber angefangen, mit Duo-Lingo eine neue Sprache und zwar ebenfalls Spanisch zu lernen, dass ich bis dato noch nie gelernt hatte.

In diesem Beitrag schildere ich den Lernprozess mit Duolingo und meine Überlegungen zu dieser Art des Lernens und zwar am Beispiel Spanisch.

Struktur und Übungsformen

Der Lernstoff von Duolingo ist als Baum organisiert. Es gibt einige Verzweigungen, die man wählen kann, grundsätzlich muss man aber meistens bestimmte Vorbedingungen erfüllen, um von einem Kapitel (in Duolingo „skill“) zum anderen zu kommen. Man kann sich aber aus jedem Kapitel heraustesten (was schneller geht als alle Lektionen durchzuarbeiten und wozu jeweils 3 Versuche zur Verfügung stehen) und es gibt im Baum drei Schlüsselstellen, an denen man ebenfalls einen Test absolvieren kann. Wenn man den Test (in ebenfalls maximal 3 Versuchen) besteht, werden alle darunterliegenden Lektionen als bestanden verbucht, andernfalls muss man sich ganz normal durch den Baum hocharbeiten.

Die einzelnen Kapitel bestehen aus einer unterschiedlichen Anzahl Lektionen (= lessons),  die jeweils aus 20 Übungen bestehen, deren Zusammensetzung aber immer variiert. Dazu gehören Übersetzungen (jeweils von und nach Englisch), Diktate von Wortgruppen bis Sätzen, verschiedene Formen von Multiple Choice (z.B. mit Bildern oder die Auswahl einer oder mehrerer Übersetzungen zu einem vorgegebenen Satz) und Nachsprechübungen. Pro Lektion sind drei Fehler erlaubt (wobei einige Fehler wie Buchstabenverdreher, weggelassene Akzente und ähnliches) nicht zählen. Bei mehr als drei Fehlern muss die Lektion wiederholt werden, man kann sich aber seit neuestem auch noch einen weiteren Versuch für 4 Lingots dazukaufen. Diese Lingots erhält man unter anderem, wenn man eine Lektion  fehlerfrei abgeschlossen (1 Lingot pro Lektion), ein Kapitel (=skill) beendet (2Lingots) oder wenn man über mehrere Tage  regelmässig erfolgreich Übungen absolviert hat (1 Lingot pro 10 Tage).  Man kann sich also nicht beliebig weitere Fehler erkaufen, kann das Feature aber benutzen, um über eine Lektion hinauszukommen, die man einfach nicht schafft.

Jedes Kapitel, dass man einmal absolviert hat, kann man später beliebig weiterüben, entweder im selben Übungsmodus wie bisher oder mit zusätzlichem Zeitlimit (= lesson practice). Man kann auch gezielt einzelne Wörter üben, zum Beispiel diejenigen, die in den Lektionen schon länger nicht mehr vorgekommen sind, was Duolingo mit einem kürzer werdenden Balken anzeigt (Tab „vocabulary in der Leiste oben).

Neben diesen stark gelenkten Übungen gibt es in Duolingo auch Übersetzungsübungen mit ganzen Texten. Im spanischen Modul wurden mir nach einiger Zeit ein Rezept zum Übersetzen vorgeschlagen. Seitdem werden zwischen den Lektionen immer wieder andere Texte eingeschaltet (Rezpete, eine Fabel von Aesop, Wikipedia-Artikel zu verschiedenen Themen, Artikel aus Newsportalen etc.) Wenn man auf einen Satz klickt, sieht man die Übersetzung des vorangehenden Benutzers (und wenn man will auch die seiner Vorgänger) und kann die Übersetzung entweder gutheissen, für schlecht befinden oder ändern. Wörter, die bereits gelernt wurden, sind im Text markiert (natürlich sehr viele Strukturwörter wie z.B. Artikel, Präpositionen u.ä darunter). Man kann sich jederzeit auch weitere Texte vorschlagen lassen ( = real world practice) oder im Tab „immersion“ selber welche suchen.

Dokumentation des Lernprozesses

Duolingo arbeitet mit vielen Elementen der Gamification, dazu gehören zum Beispiel die oben bereits erwähnten Lingots. Gamification-Elemente werden auch benutzt, um den Lernprozess sichtbar zu machen. Fortschrittsbalken zum Beispiel sind all gegenwärtig, zum Beispiel beim Lösen einer Lektion, zur Anzeige des Fortschritts innerhalb eines Kapitels oder als Indikator dafür, wann ein Wort wieder repetiert werden sollte. Auch der eingangs erwähnte Lernbaum zeigt den Fortschritt an. Lektionen, die in Bearbeitung sind oder bereits abgeschlossen wurden, werden farblich markiert.

Jede abgeschlossene Lektion, jedes bestandene Kapitel etc. bringt Punkte. Für Lektionen gibt es jeweils 10 Punkte, wenn man keine Fehler macht, kann man bis zu 13 Punkte bekommen. Diese drei Zusatzpunkte sind als Herzen dargestellt und wenn man sich irrt, verschwindet jeweils eines davon. Das Sichtbarmachen der Leistung in Form von Punkten ist also ein weiteres Element, dass den Lernfortschritt visualisiert. Die tägliche Punktzahl wird auf der Nutzer-Homepage der zu lernenden Sprache als Münzstapel angezeigt, neu gewonnene Punkte (und vollendete Aktivitäten) werden im so genannten „stream“, einer Art automatisch angelegtem Aktivitätenprotokoll, veröffentlicht. Wenn man sich auf Duolingo Freunde sucht, können diese den Stream einsehen und auf der erwähnten Homepage werden jeweils die Highscores der befreundeten Lerner angezeigt. Zusätzlich bringen einen die Punkte (unabhängig vom Voranschreiten im Lektionenbaum) auch in ein höheres Level. Selbst wenn man „nur“ repetiert und so Punkte holt, sieht man also einen Fortschritt und tatsächlich ist ja auch das Repetieren eine sinnvolle Lerntätigkeit.

Auch auf der Wortschatzebene ist immer klar, was man schon gelernt hat. Wenn in einer Übung neue Wörter auftauchen, werden sie gelb markiert. Am Ende jeder Lektion werden die Wörter aufgeführt, die man durch das Bearbeiten der Übungen „gestärkt“ hat. Es gibt eine Wortschatzübersichtsseite, die alle vorgekommenen Wörter (bzw. Wortformen) zusammenfasst. Die Wörter lassen sich auch nach Kapitel ordnen und in jeder Lektion kann man sich die neuesten Wörter anzeigen lassen.

Unterstützung

Duo-Lingo ist ein Selbstlernangebot, ohne Unterstützung durch einen Lehrer oder Tutor. Wenn man als Lernender jedoch sprachlich oder sonst irgendwie stecken bleibt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen bzw. die Aufgabe zu vereinfachen. Dazu gehören folgende Features:

Vereinfachungsmöglichkeiten:

  • Bei Diktatübungen kann man das Audio in zwei verschiedenen Geschwindigkeiten abspielen lassen (normal und langsam)
  • Bei fast allen Übungsformen steht ein Wörterbuch zur Verfügung, das man ganz einfach durch das Zeigen des Mauszeigers auf ein Wort aktiviert. Allerdings stehen in diesem Wörterbuch keine grammatischen Informationen (wie z.B. das Genus) zur Verfügung. Wenn man ein bereits bekanntes Wort nachgeschlagen hat, wird das Wort grau markiert und es wird „you peeked angezeigt“, wodurch der Nachschlagetrieb evt. etwas im Zauum gehalten wird.
  • In fast allen Übungsformen kann man sich die Aussprache der Wörter und Sätze anhören. Die Aussprachequalität ist aber nicht in allen Sprachen gleich. Im italienischen Modul war sie beim letzen Test vor ein paar Wochen vergleichsweise sehr schlecht.
  • Die wichtigsten Sonderzeichen pro Sprache stehen unter den Eingebamasken als virtuelle Tasten zur Verfügung.

Erklärungen

  • Zu den einzelnen Übungen innerhalb jeder Lektion existieren Diskussionsforen. Wenn man also zum Beispiel bei einer Übersetzung daneben lag, kann man dort nachfragen bzw. -lesen, woran das liegen könnte. In den Foren sind allerdings vorwiegend Lernende unterwegs, aber oft postet jemand einen nützlichen Link oder man erhält die Bestätigung, dass auch andere die vorlangte Übersetzung nicht berrauschend finden.
  • Wenn man eine Übung falsch löst, erhält man in einigen Fällen ein Feedback zum Fehler, im Minimum aber einen Vergleich zwischen der richtigen und der eigenen Lösung.
  • Am Anfang von Lektionen und manchmal als Infofenster innerhalb von Lektionen werderen zuweilen Grammatikerklärungen eingeblendet. Allerdings scheint das nicht systematisch der Falls zu sein. Die bestimmten Artikel zum Beispiel tauchten das erste Mal ohne irgendeine Erklärung auf, obwohl spanisch zwei verschiedene Artikel hat und englisch nur einen.

Umgang mit Fehlern

Duolingo ist einigermassen fehlertolerant bei Akzenten, Gross- und Kleinschreibung sowie Buchstabenverdrehern. Das bedeutet, dass Fehler in diesem Bereich keine Herzen kosten, aber der korrekte Satz (mit hervorgehobenem Fehler) und evtl. eine Erklärung werden angezeigt. Fehlende Satzzeichen werden nicht einmal markiert. Andererseits kann es sein, dass man in der Erklärungssprache (in meinem Fall Englisch) einen Fehler macht (z.B. Good by statt bye tippt), was dann ebenfalls als Fehler zählt. Was ein Flüchtigkeits- und was ein „echter“ Fehler ist, ist ja auch für Leherer nicht immer einfach zu eruieren.

Ein grösseres Problem ist, dass Übersetzungen nur dann richtig sind, wenn die Übersetzung auch als solche abgelegt wurde. Zudem scheint Duolingo in den Übungsmodulen eher wörtliche Übersetzungen zu favorisieren. Das ist einerseits verständlich, führt aber nicht immer zur besten Übersetzung. Spätestens beim übersetzen authentischer Texte wird klar, dass dieser Ansatz nicht ausreicht. Diese Übungsform bildet also eine Art korrektiv zu vielleicht etwas zu wörtlichen Übersetzungen. Zudem kann man, wie bereits oben erwähnt, in den Foren zu den Sätzen auch solche Bemerkungen deponieren und wie man aus späteren Kommentaren ablesen kann, scheinen solche Übersetzungen z.T. durchaus ihren weg in die Lektionen zu finden.

Lernziele, Auswahl der Lerninhalte

Das langfristige Ziel von Duolingo ist, dass seine Nutzer echte Texte von einer Sprache in die andere übersetzen. Darauf beruht auch das Geschäftskonzept der Seite. Langfristig sollen die Sprachlernmodule frei bleiben, Nutzer, die einen Text übersetzen lassen möchten, sollen für diesen Service bezahlen (Quelle: Duolingo: Business model, englische Wikipedia, Stand vom 29.9.13). Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, dass die Übungen von Duolingo ein so grosses Gewicht auf das Hin- und Herübersetzen legen.

Der Wortschatz ist  – zumindest in den Anfangslektionen die ich mir genauer angeschaut habe – für alle Sprachen gleich oder zumindest ähnlich und nicht wirklich mit Deskriptoren vereinbar, wie sie z.B. im gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen stehen. Auch die Auswahl der Themen und Sätze ist nicht an kommunikativen Bedürfnissen ausgerichtet, sondern daran, dass der Wortschatz in ein bestimmtes grammatisches Muster passt. Im Prinzip gut ist, dass die Wörter immer in einem Kontext verwendet werden. Die Kontexte sind allerdings häufig wenig authentisch. Sätze wie „die Spinne trinkt Milch“ mögen ja noch lustig sein, aber Fakt bleibt, das viele Sätze, die man lernt, kaum kommunikative Relevanz haben.

Die Auswahl der Grammatik orientiert sich meines Erachtens nicht an den Texten, die übersetzt werden sollen. Andernfalls müssten z.B. Vergangenheitszeiten früher kommen. Angaben dazu, wie die Grammatikprogression zustande kommt, habe ich keine gefunden.

Autonomie

Autonomie hat verschiedene Dimensionen. Sicher efüllt ist der Aspekt des zeit- und ortsunabhängigen Lernens. Da die App auch einen Offline-Modus hat, kann man – die nötige technische Ausrüstung vorausgesetzt – lernen wo und wann man will. Man kann auch selber entscheiden, wie viele Module man absolvieren will oder wann man wie viel repetieren möchte.

Autonomie im Bereich Wahl der Inhalte bzw. der Methoden ist hingegen nicht gegeben. Die einzige Möglichkeit, die man diesbezüglich hat, besteht darin, bestimmte Teile zu überspringen (in dem man sich etwa aus einer Lektion oder einem Kapitel heraustestet oder Übersetzungsübungen nicht macht), man kann aber nicht etwa entscheiden, dass man eine gewisse Wortschatzeinheit gar nicht lernen will oder keine Schreibübungen machen möchte, weil man nur das Sprechen lernen will.

Eine Motivation, einen Sprachkurs zu machen, kann aber gerade darin bestehen, dass man sich keine Gedanken machen will, was man lernen möchte/soll. So gesehen muss das also kein Nachteil sein, kann aber.

Im Bereich Evaluation bietet Duolingo konstante Richtig-falsch-Rückmeldungen und zwar auch für Lektionen, die man eigentlich schon einmal gelernt hatte oder für einzelne Wörter, die man trainieren will.Eine Ausnahme stellt der Bereich Übersetzung authentischer Texte dar. Dort gibt es keine verifizierten Lösungen. Wenn man einen Satz übersetzt hat, wird man aber über weitere Übersetzungen auf dem laufenden gehalten, was im besten Fall zu Aha-Erlebnissen führen kann.

Man kann sich auch ein Sprachzertifikat austellen lassen, für das man allerdings mindestens 25 Lingots gesammelt haben muss. Man erhält dann eine Punktzahl, leider aber keine Informationen darüber, wie die Punktzahl zustande gekommen ist bzw. was man falsch gemacht hat.

Brauchbar oder nicht?

Duolingo hat mich dazu gebracht im Verlauf von etwas mehr als 7 Wochen jeden Tag ein bisschen was für eine neue Sprache zu tun, obwohl ich in der Zeit zum Teil ziemlich viel anderes zu tun hatte. Die verschiedenen Methoden, mich bei der Stange zu halten (z.B. E-Mail-Remainder, Visualisierung des Lernfortschritts, Punkte für kontinuierliches Lernen etc.) haben funktioniert, die verschiedenen Übungsformen waren abwechslungsreich genug und überhaupt hat mir Duolingo das Gefühl vermittelt, Fortschritte zu machen. Mitgespielt haben mag aber auch, dass Spanisch für jemanden mit Kenntnissen in anderen romanischen Sprachen und ziemlich viel Lateinunterricht auf dem Buckel eine Sprache ist, die man auch ohne formales Lernen schon zu relativ grossen Teilen versteht und deren Wörter sich dadurch auch leichter memorieren lassen.

Duolingo hat selbst eine Studie zur Effektivität von Duolingo in Auftrag gegeben. 88 Lernende (überwiegend Anfänger) machten am Anfang und am Ende der 8-wöchigen Testphase je einen Online-Test (WebCape), der verwendet wird, um College-Studenten in den richtigen Sprachkurs einzustufen. Der Multiple-Choice-Test ist adaptiv, das heisst, wenn man die Fragen richtig beantwortet, bekommt man schwerere Items vorgelegt, wenn nicht, leichtere (Siehe http://www.perpetualworks.com/webcape/details). Fragen mit Audio gibt es nicht (http://www.perpetualworks.com/webcape/faq).

Zwischen den beiden Einstufungstest lernten sie im Untersuchungszeitraum zwischen Total 2-133 Stunden (im Durchschnitt 22). Angestrebt war die Benutzung von Duolingo  für mindestens 30 Stunden, etwas mehr als ein Viertel der Probanden hat Duolingo tatsächlich so lang oder länger verwendet. Im Durchschnitt wurde 70% für das Bearbeiten der Lektionen eingesetzt und 9% für die Übersetzung authentischer Texte (Duolingo Effectiveniess Study S. 11).

Duolingo sollte das einzige Medium für den Spanischerwerb sein, einzelne Probanden gaben aber an, sie hätten ab und zu Webtools benutzt, um Wörter nachzuschlagen oder zusätzliche Informationen einzuholen bzw. sie hätten hin und wieder spanischsprachige Videos geschaut. Die Probanden hatten alle Englisch als Muttersprache, waren mindestens 18 Jahre alt, nicht hispanoamerikanischer Herkunft und lebten in den USA. Etwa 10 Prozent von ihnen hatten Spanischsprachige im engeren Bekanntenkreis und etwas mehr als ein Viertel sprach mindestens eine andere Fremdsprache (Duolingo Effectivness Study. Final Report. S. 9f.).

16 % der Probanden hatten beim zweiten Einstufngstest den selben oder einen tieferen Wert. Die meisten Probanden haben also Fortschritte gemacht, 23% wurden ein Semester höher, 9% sogar zwei Semester höher eingestuft als beim ersten Test (Wie gross der tatsächliche Fortschritt war, hängt aber natürlich vom Eingangsniveau ab). Im Durschnitt haben sich die Probanden pro Stunde Arbeit mit Duolingu um 8.1 Punkte verbessert. Der Durschnitt allein ist allerdings etwas irreführend. Der Medianwert liegt nämlich bei nur 4 Punkten, was bedeutet, dass die Hälfte der Teilnehmer sich um weniger oder um gleichviele Punkte wie der Medianwert verbessert haben (DES S. 14). Das unterste Viertel hat denn auch maximal 1.1 Punkte pro Stunde zugelegt, das oberste hingegen mehr als 10.4 Punkte, mit einem Maximum von 60.4 (DES S. 15).

Leider liefert die Studie keinen Aufschluss darüber, ob diejenigen, die länger gelernt haben, auch grössere Fortschritte machten . Erwähnt wird nur der Zusammenhang zwischen Eingangsniveau und Lernzuwachs: am meisten Fortschritte machten diejenigen, die am wenigsten Sprachkenntnisse mitbrachten (DES S. 17).

Beim Lesen der Studie habe ich mir vor allem zwei Gedanken gemacht:

  • Abbruchquote: von den ursprünglich 196 Probanden, die den ersten Einstufungstest ablegten mehr als die Hälfte für weniger als 2 Stunden benützt. 90 haben den zweiten Test abgelegt, zwei wurden von der Studie ausgeschlossen (Test abgebrochen bzw. neben Duolingo noch einen Spanischkurs besucht, DES S. 9). Der Abbruch der Studie kann natürlich mehrere Gründe haben. Zeitmangel und fehlende Motivation für das Lernen einer Sprache allgemein wären ebenso plausibel wie die Annahme, dass diesen Lernenden die Duolingolernmethode nicht lag. Zu den Abbruchgründen hätte ich gerne weitere Angaben gehabt. Aber auch aus meinen Kursen weiss ich, dass es schwierig ist, gerade von Abbrechern Daten zu erhalten.
  • Die Macher der Studie kommen zum Schluss, dass jemand, der bei Null beginnt im Durchschnitt 34 Stunden (allerdings mit einem ziemlich grossen Konvidenzintervall von 26-49 Stunden) braucht, um mit Duolingo so weit zu kommen, dass er im Placementtest ins 2. Semester eingestuft wird (DFS 14). Ich weiss nun nicht genau, was in so einem Collegekurs genau gelehrt wird, hoffe aber, dass auch Hörverstehen und Sprechen eine Rolle spielen, beides Fertigkeiten, die in Duolingo nur ganz am Rande gelernt werden (in Form von Diktat und Aussprachetraining).
    Der WebCAPE-Test postuliert in der FAQ (Is there a written or oral component to the exams) zwar, dass die Einstufung auch mit anderen Formen der Erhebung (z.B. mündliche Einstufungsgespräche) korreliere, aber ich frage mich ernsthaft, ob das auch dann der Fall ist, wenn bestimmte Fertigkeiten schlicht und einfach nicht trainiert werden. Ob die Resultate in der mündlichen Interaktion tatsächlich vergleichbar wären, wage ich deshalb zu bezweifeln (Worauf das natürlich wie gesagt stark auf das Curriculum dieses Collegecourses ankäme).

Fazit

Meiner Ansicht nach ist Duolingo ein brauchbares Wortschatzlernprogramm, weil es

  • den Stoff in angemessenen Portionen präsentiert
  • Man Lektionen durch Tests auch abkürzen kann, so dass man nicht gezwungen ist, Dinge zu üben, die man eigentlich schon kann
  • Wiederholungen leicht macht (älterer Wortschatz wird immer wieder aufgenommen und Lektionen, die schon lange nicht mehr berücksichtigt wurden, werden optisch hervorgehoben (durch kürzer werdende Verlaufsbalken)
  • Wörter nicht isoliert präsentiert, sondern immer in einem – wenn auch limitierten – Kontext (auch wenn ich mir oftmals andere Beispielsätze gewünscht hätte)
  • Wort und Schrift kombiniert (die Aussprache wird beim Wortschatzlernen allzu oft ignoriert)
  • einigermassen angemessen fehlertolerant ist
  • zumindest das Lesen authentischer Texte schon früh einbezogen wird.

Zu den Nachteilen gehört, dass

  • man den Wortschatz nicht selber auswählen kann und die Beispielsätze zum Teil inhalts- und funktionsleer sind
  •  das Übersetzen dazu verleiten kann, zu stark am Text zu kleben und sich auf das zu konzentrieren, was man nicht versteht, statt Erschliessungstrategien anzuwenden.
  • zumindest manchmal richtige Übersetzungen nicht akzeptiert werden bzw. sehr wörtliche favorisiert werden.
  • Bewusstmachungsstrategien (z.B. im Bereich Wortbildung oder Herstellen von Bezügen zu anderen Sprachen) fehlen bzw. nicht angeleitet werden.

Ich würde nicht empfehlen, eine Sprache nur mit Duolingo lernen zu wollen. Dafür fehlt einfach zu viel, was eine Sprache ausmacht. Für bestimmte Lernziele (Wortschatzlernen, Texte lesen) oder  in Kombination mit anderen Ressourcen wie z.B. Tandem, lang-8, vereinfachten Lektüren, Videomaterial und evtl. einem kommunikativier ausgerichteten Reisesprachkurs oder ähnlichem kann Duolingo meiner Meinung nach eine brauchbare Ressource für Sprachanfänger sein.

Interessant ist auch die Ankündigung von Duolingo, dass schon bald ein Tool zur Verfügung gestellt werden soll, mit dem die Nutzer an der Konzeption neuer Sprachkurse mitarbeiten können sollen. Gedacht ist das für weitere Sprachen. Falls man auch eigene Lektionen mit eigenem Wortschatz anlegen können sollte, fände ich das sehr begrüssenswert, denn Duolingo bietet mehr als ein durchschnittlicher Vokabeltrainer. Der Artikel, den ich zu diesem Thema gelesen habe, klingt zwar nicht danach, aber wer weiss.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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6 Kommentare

  • 1. Katharina  |  8. Oktober 2013 um 14:57

    Interessant – Duolingo kannte ich noch gar nicht. Muss ich mir gleich mal genauer anschauen. Würdest du denn Duolingo eventuell kursbegleitend auf A1-Niveau empfehlen, oder kommt es da nur zu Interferenzen? Für Web 2.0-Geeks ist so ein Programm sicher sehr motivierend, zumal es sich mit Facebook verlinken lässt…

  • 2. Cornelia  |  8. Oktober 2013 um 19:24

    Es kommt halt darauf an, was du unter „kursbegleitend“ verstehst. Ich zeige meinen Lernenden oft Ressourcen, die sie selbständig benutzen können (z.B. den Online-Kurs der deutschen Welle, Podcasts etc.) Ich setze aber nicht voraus, dass sie das tun und ich stimme meinen Kurs auch nicht auf solche Inhalte ab. (Bei Duolingo würde ich das ganz bestimmt nicht tun, da Wortschatz und Grammatikauswahl nicht meinen Ansprüchen an einen Kurs genügen.) Wenn sie aber mehr oder anderes lernen als ich im Kurs mache, finde ich das eigentlich immer gut – ziemlich egal wie oder was.

    Interferenzen zwischen Sprachen gibt es meiner Meinung nach immer – ob man die jetzt thematisiert oder nicht. Die Methode spricht aber sicher auch nicht jeden an.
    Zudem können die allermeisten Lernenden ja auch schon eine Fremdsprache – auch wenn es nicht immer eine der klassischen ist und sind damit vertraut, dass Sprachen auch anders funktionieren können.

    Da Duolingo gratis ist, fände ich es kein Problem es zu erwähnen (ich hab grad keinen Kurs auf dem Niveau), aber ich zumindest würde auch die Nachteile nicht verschweigen.

  • 3. A(pp) in die A 1.2 mit du&hellip  |  27. Juni 2014 um 16:48

    […] bemerkte ich die ersten Selbstlerner, die mit dem App gelernt haben.  Zeitgleich veröffentlichte Cornelia Steinmann eine ausführliche Dokumentation des Wortschatzlernprogramms, in der sie ihren Selbstversuch […]

  • 4. Bubb Francesca  |  10. September 2014 um 20:05

    I wanted to freshenup my everyday Italian and Spanish, but I found so many mistakes in the English translation that I stooped. I lose my hearts with your translations and get nowhere.

  • 5. Hella  |  22. Oktober 2015 um 11:14

    bin begeistert von duolingo,, wollte heute weitermachen aber meine Lektionen sind nicht mehr da und ich kann mich auch nicht anmelden. das ist mir mit einer anderen email Adresse vor einer Woche schon mal passiert, warum komme ich nicht mehr ins das programmm. muss ich wieder von vorne anfangen, wäre schade, bitte um hilfe, mit freundlichem gruß h. horn

  • 6. Cornelia  |  22. Oktober 2015 um 15:36

    Liebe Hella, ich fürchte, die Frage musst du direkt bei Duolingo stellen, ich habe nur über das Programm geschrieben und kann leider nicht nachschauen, was bei deiner Anmeldung schiefgelaufen ist.

    Viel Erfolg wünscht

    Cornelia


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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