Stellenwert von Aussprache im Unterricht

23. Mai 2013

Bei der letzen Kursevaluation habe ich von einem Teilnehmer die Rückmeldung erhalten, dass das der erste Deutschkurs überhaupt gewesen sei, in dem Wortakzent und Vokallänge thematisiert wurden. Da die Evaluation anonym war, weiss ich nicht, wie lange und wo er oder sie Deutsch gelernt hat, aber um auf B1 zu kommen, ist doch einiger zeitlicher Aufwand nötig.

Ich finde das sehr schade, denn gerade diese beiden Punkte tragen wesentlich zu einer verständlichen Aussprache bei. Gleichzeitig war ich auch nicht überrascht, denn der grösste Teil der Lernenden, der zu mir in Kurse kommt, hat vorher kaum je Übungen mit Aussprachefokus im Unterricht und bekam auch keine Aussprachregeln vermittelt. Im Grammatikbereich wäre das undenkbar.

Im Folgenden führe ich ein paar einfache Massnahmen auf, wie man im normalen Unterricht – also nicht in speziellen Aussprachekursen, die Aussprache (insbesonder Vokallänge und Akzent) mehr in den Fokus rücken kann, auch wenn das eigene Lehrmittel immer noch keine Ausspracheübungen anbieten sollte.

  • Wörter nicht nur mit grammatischen Informationen (Artikel, Plural, Verbformen) notieren, sondern auch mit Wortakzent: einfach einen Strich unter lange Vokale und unter alle Diphtonge setzen und einen Punkt unter die kurzen Vokale. Damit bringt man auch zum Ausdruck, das Wörter eine lautliche Seite haben, die immer mitgelernt werden muss. Wortschatzlernen findet noch viel zu oft nur auf Papier und damit leise statt.
  • Genauso wie man ein paar einfache Genusregeln erwähnt (Wörter auf -ung sind feminin) auch ein paar einfache Wortakzentregeln vermitteln (Verben auf -ieren haben den Akzent auf dem i) und am besten gleich Beispiele sammeln (telefonieren, repetieren, studieren, interessieren), damit repetiert man auch gleich der Klasse bekannten Wortschatz, wenn auch unter phonetischer Perspektive. Genauso wie bei den Grammatikregeln kann man aber getrost auf Regeln mit mehr Ausnahmen als Beispielen oder auf solche, die nur auf 4 Wörter zutreffen, verzichten.
  • Wenn man korrigiert statt auf die Grammatik mal auf die Aussprache achten. Gesten funktionieren dafür gut, zum Beispiel:
  • eine kleine Box-Bewegung oder eine energische Schrägabwärtsbewegung mit der Hand, um den Wortakzent zu untermalen (das selber zu tun hilft auch Lernenden, in deren Herkunftssprachen der Wortakzent nicht oder anders als im deutschen realisiert wird)
  • Die Vokalquantität mit Daumen und Zeigefinger anzeigen, die man entweder zusammenführt (kurz) oder horizontal auseinanderbewegt (lang).
  • bei fehlenden Umlauten mit zwei Fingern Punkt in die Luft stechen
  • Statt Wortschatz zu einem bestimmten Thema, mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben etc. mal Wortschatz mit einem bestimmten Akzentmuster sammeln, zum Beispiel Wörter, die so gesprochen werden: oOo (verstehen, Geschäfte, Tomaten …). Wer will, kann auch noch ein Thema vorgeben, zum Beispiel „Früchte“.
  • Dafür sensibiliseren, welche Funktion ein bestimmtes Phänomen für Deutschsprachige hat. Im Bereich Vokalquantität/Qualität eignen sich Minimalpaare gut. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist „Fahr zur Höhle/Hölle“. Die „Mitte/Miete“ ist zu hoch ist auch ganz nett. Im Bereich Wortakzent könntet ihr auch diese Übung ausprobieren.
  • Das alles kann man integrieren, ohne dass man den Unterricht komplett umbauen oder sehr viel Zeit darauf verwenden muss. Einige Lernende brauchen mehr Hilfe als die vorgeschlagenen Ideen, aber für viele reicht das schon für eine Verbesserung. In meinen Klassen können die meisten Teilnehmer die Laute des deutschen ausreichend korrekt produzieren, aber sie haben Wörter oft falsch gelernt. Wenn man ihnen die Mittel gibt, sich die wesentlichsten Informationen zur Aussprache von Wörtern selbst anzueignen, ist schon viel gewonnen.

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    5 Kommentare

    • 1. Karin Weisenstein  |  25. Mai 2013 um 13:12

      Hallo Cornelia

      Danke wieder mal für etliche schöne Beiträge. Hier bin ich ganz deiner Meinung, und habe vor kurzem dazu eine WB für meine Kolleginnen durchgeführt. Ich konnte mich dafür auf eine WB bei Kerstin Uetz Billman von der SAL (Schule für angewandte Linguistik) in ZH berufen. Diese WB kann ich jedem, der sich für den Stellenwert von Aussprache im Unterricht interessiert, nur empfehlen, zumal sie viele praktische Hilfen brachte (wie erkläre ich, wie man einen Laut bildet, wenn der TN ihn aus seiner eigenen Sprache nicht kennt).. Es ist wirklich ein interessantes Thema, das habe ich bei der Vorbereitung auf miene WB auch wieder gesehen. Als praktische Hilfe kann ich das BUch „AusSprache bewusst machen“ von Kerstin Uetz Billberg (info@sal.ch) und „hören – sprechen – richtig schreiben“ von Schiemann und Bölck, ISBN 3-89657-805-7 empfehlen.

      Ausserdem gibt es ein Buch mit 33 Aussprachespielen, von denen allerdings manche recht schwierig sind. Dein Wortakzentlabyrinth habe ich auch schon eingesetzt, mit einem B2/C1-Kurs, und die hatten daran ganz schön zu knabbern. Meine Schweizer Kolleginnen mienten dazu, sie hätten damit auch einige Probleme, vor allem, da der Schweizer Akzent manchmal an anderer Stelle liegt. Als Idee finde ich das Labyrinth aber immer noch sehr gut.

      Viele Grüsse aus Mellingen,

      Karin

    • 2. Cornelia  |  9. Juni 2013 um 12:54

      Vielen Dank für den Kommentar!

      Ein Thema für eine weitere Weiterbildung wäre wohl „Ausspracheunterschiede bei den verschiedenen Standardvarietäten“. 🙂
      Beim Thema Aussprache lassen sich viele viel zu schnell verunsichern. Ich frage mich, ob es daran liegt, dass in der Schule alle Grammatik, aber kaum einer Phonetik hatte.

      Liebe Grüsse

      Cornelia

    • 3. Stellenwert von Aussprach&hellip  |  24. November 2014 um 21:30

      […] auch wenn das eigene Lehrmittel immer noch keine Ausspracheübungen anbieten sollte.“Weiter hier:http://cornelia.siteware.ch/blog/wordpress/2013/05/23/stellenwert-von-aussprache-im-unterricht /* Ce contenu a été publié dans Langue & échanges, avec comme mot(s)-clef(s) […]

    • 4. Bernd  |  25. November 2014 um 11:53

      Hallo Cornelia,
      folgendes Schema habe ich vielelicht falsch verstanden:

      „zum Beispiel Wörter, die so gesprochen werden: oOo (verstehen, Geschäfte, Tomaten …)“

      es klingt als ob die Woerter dreisilbig waeren:
      etwa: To-ma-ten, in Wirklichkeit sind sie ja aber zweisilbig. Zu dieser Radikalitaet haben die franz. DaF-Lehrer kaum den Mut gehabt, wie ich wiederholt bei sogenannten Fortgeschrittenen feststellen konnte. LG,Bernd

    • 5. Cornelia  |  25. November 2014 um 16:13

      Doch, das ist schon richtig. Die sind dreisilbig. Die letzte Silbe wird zwar stark reduziert, aber mit Ausnahme von verstehen, wo die zweisilbige Aussprache möglich und häufig ist, muss die dritte Silbe zumindest rhythmisch erhalten bleiben. Bei Geschäfte könntest du sonst Plural und Singular nicht unterscheiden. Auch die Unterscheidung ein/einen wäre sonst beim schnellen Sprechen nicht mehr möglich. Da die Schwas in der Endung verschwinden entstehen silbische oder gelängte Nasale. Genau diese starke Reduktion (bei gleichzeitigem Erhalt der Silbe) ist für viele Lernende schwierig.


    Linktipp

    SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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