Kummerkasten

16. Juni 2007

Das Schreiben im DaF-Unterricht krankt oft daran, dass der Adressat fehlt oder unklar ist. Das macht es schwieriger, einen guten Text zu schreiben. Oft heisst es auch, dass das Publikum für den Text fehlt (beziehungsweise nur aus der Lehrperson besteht), was für die Schreibmotivation (und indirekt auch für die Textqualität) eher nachteilig ist. Weil es nicht möglich (und auch nicht wünschbar) ist, nur Texte zu schreiben, die einen direkten praktischen Alltagsbezug haben (wie zum Beispiel Briefe an Behöreden oder Anfragen), muss man das Publikum zuweilen schaffen. Gut geht das mit zweiteiligen Übungsformen, bei denen die Lernenden je einmal in der Adressaten- und in der Schreiberrolle sind.

Der Kummerkasten ist eine Ratgeberkolumne, wo man Rat für alle möglichen und unmöglichen Probleme bekommt. Die Lernenden schreiben ein fiktives Problem, zu dem sie eine Antwort möchten, auf ein A4-Blatt. Diesen Zettel geben sie der Lehrperson, die ihnen dafür ein Problem eines anderen Lernenden aushändigt. Dazu schreiben sie jetzt eine Antwort auf dasselbe Blatt.

Damit das ganz reibungslos funktioniert, gibt es ein paar Punkte, die man beachten muss.

  1. Man erreicht bessere Resultate, wenn man den Lernenden Redemittel vorgibt, die sie für so eine Aufgabe benutzen können. Für den Kummerkasten sind das Wendungen wie
    • Wenn ich Sie wäre, wüde ich …
    • An Ihrer Stelle würde ich …
    • Sie sollten unbedingt …

    Ich gebe die Redemittel in der Regel in der vorangehenden Lektion als Hausaufgaben.

  2. Zur Einführung der Übung gibt man am besten ein Beispiel vor. In meinem Fall sah das so aus:

    Liebes Kummerkasten-Team

    Ich brauche dringend eure Hilfe. Ich bin mit meinem Leben nicht zufrieden. Alles dreht sich nur um’s Geld, ist oberflächlich und hektisch. Ich denke daran, meinen Job zu kündigen, meine Aktien zu verkaufen und in ein Kloster zu gehen. Weil das aber doch ein grosser Schritt ist, hätte ich gern euren Rat. Was soll ich tun?

    Ich hoffe wirklich, dass ihr mir helfen könnt.

    Cornelia

    Das illusitriert die Aufgabe und zeigt den Lernenden, dass es bei der Übung nicht um Probleme gehen soll, auf die man wirklich eine ernsthafte Antwort haben will.

  3. Nicht alle Lernenden schreiben gleich schnell. Damit keine unnötigen Wartezeiten entstehen, empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
    • Die Lehrperson schreibt selber ein Problem auf. Der erste Lernende, der sein Problem fertig hat, bekommt dieses Problem zum beantworten. Der zweite bekommt dasjenige des ersten etc. Am Schluss beantwortet der Lehrer das Problem des letzten. So sind alle immer am Schreiben.
    • Für diejenigen, die mit dem Beantworten des Problems fertig sind, gebe ich eine Brückenaufgabe (zum Beispiel das Lösen der Hausaufgaben beginnen).

    Trotzdem sollte man aber ungefähre Zeitvorgaben geben (zB. 7 Minuten für Frage, 15 für Antwort). In der Realität brauchen dann die meisten etwas länger – was auch nichts macht – aber wenn man zeitlich gar nicht steuert, werden die Unterschiede zu gross.

  4. Bei Wortschatz- und Verständnisproblemen hilft entweder die Lehrperson oder der Fragesteller selbst. Deshalb müssen die Fragestellter ihren Namen auf das Blatt schreiben (sie müssen aber nicht als sich selbst unterschreiben. Der Name dient nur der Identifikation.)
  5. Wenn alle fertig sind, wird die Klasse in Gruppen von 4-5 Personen eingeteilt. Jeder liest die ihm gestellte Frage und seine Antwort darauf vor. Es ist wichtig, ein bisschen Zeit einzuplanen, damit alle das Vorlesen ein bisschen vorbereiten können. Die Zuhörer dürfen und sollen rückfragen, wenn sie etwas akkustisch oder inhaltlich nicht verstanden haben.
    Alternativ kann man auch alle Blätter aufhängen und den Lernenden Zeit zum stillen Lesen geben.
  6. Als Abschluss der Übung erhält jeder seine Frage/ sein Problem mit der Antwort darauf zurück. Das wird in der Regel sehr geschätzt. Damit das klappt, braucht man den Namen des Fragestellers und die Lehrperson muss die Frage des letzten Lernenden beantworten (oder den schnellsten zweimal schreiben lassen).

Das Prinzip eignet sich für viele verschiedene Schreibauträge zum Beispiel:

  • Kontaktanzeigen und Reaktionen darauf
  • Stellenanzeigen und Bewerbungsschreiben
  • Beschwerden/Reklamationen und Antworten

Manchmal ist es sinnvoll, die Übungsform ein bisschen zu variieren. Zum Beispiel kann man die Stellenanzeigen von Gruppen schreiben lassen. Die Anzeigen werden zwischen den verschiedenen Gruppen ausgetauscht. Die Bewerbung schreiben die Gruppenmitglieder dann aber individuell. Das heisst, dass jede Gruppe 4-5 Bewerbungen für die selbe Stelle erhält. Aus diesen Bewerbungen wählt jede Gruppe einen Kandidaten aus. Im Plenum präsentiert dann jede Gruppe die ausgeschriebene Stelle und ihren Wunschkandidaten.

Für die oben beschriebenen Übungsformen sollte man inklusive Erklärung und Auswertung mindestens eine Lektion (45 Minuten) zur Verfügung haben. Je nach Komplexität der Aufgabe auch mehr.

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2 Kommentare

  • 1. DaF-Blog » Kummerkasten &hellip  |  3. Juli 2007 um 00:22

    […] DaF-Blog » Kummerkasten […]

  • 2. DaF-Blog » SMS-Komm&hellip  |  8. September 2012 um 05:22

    […] “Beziehung” ein – vom Kontakanzeigen schreiben (nach demselben System wie beim Kummerkasten: jeder erfindet eine Anzeige und antwortet dann auf eine andere) bis zu den Klischees über […]


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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