Mitschreiben üben
3. November 2010
Viele Deutschlernende, die ihr Studium an einer deutschsprachigen Hochschule aufnehmen sind von den Vorlesungen erstmals überfordert. Einerseits ist der Stoff neu, was viele unbekannte Konzepte und Wörter mit sich bringt und andererseits happert es auch oft bei denjenigen Wortschatzbereichen, die nicht bereichsspezifisch sind. Neben dem Wortschatz (der beim Hörverstehen wirklich sehr wichtig ist) gibt es aber noch viele andere Problembereiche. Lernende von mir haben (neben vielen anderen, die ich in späteren Beiträgen thematisieren möchte) folgende Probleme:
- Beim Notieren, vor allem wenn sie einen Punkt zusammenfassen, fallen ihnen die Wörter in der Muttersprache ein und verlieren Zeit damit, ein passendes Wort in der Zielsprache zu finden.
- Sie können nicht schnell genug mitschreiben.
- Sie haben Angst vor Fehlern (z.B. bei der Orthographie oder der Grammatik)
Bei diesen Punkten ist die Abhilfe relativ einfach. Es braucht bei einigen Lernenden etwas Mut, auch potentiell falsche Wörter zu notieren und für einige ist es sehr ungewohnt, auch muttersprachliche Wörter in deutschsprachigen Notizen zu notieren. Sobald die Muttersprache sich einmal eingeschaltet hat, kostet das Rückübersetzen auch wieder Zeit. Es ist also meistens beser gleich das Wort zu notieren, das einem gerade im Kopf rumschwirrt, vor allem, wenn man damit einen längeren Gedanken auf den Punkt bringen wollte. Und wenn man für sich selbst Vorlesungsnotizen macht, ist, muss das ergo niemand anders lesen können. Zur Steigerung der Geschwindigkeit helfen Abkürzungen und Symbole wie Pfeile etc.
Ablauf der Unterrichtseinheit
Um das Mitschreiben zu üben bzw. zu thematisieren habe ich ein Beitrag aus der Reihe Geist und Gehirn gewählt und zwar Mädchen und Mathematik. Meine Wahl fiel auf dieses relativ allgemeine Thema, weil meine Lernenden alle verschiedene Fächer studieren. Das Verfahren eignet sich auch für Lern- oder Tandempartner (mit diesem oder einem anderen Video aus der Reihe).
Zuerst habe ich das Thema kurz eingeführt: In der Schweiz nimmt die Liebe der Mädchen zur Mathematik ab ca. der 5. Klasse kontinuierlich ab. Da gleichzeitig immer mehr Frauen studieren, wird das vor allem für die Natur- und Ingenieurswissenschaften zum Problem, denen der Nachwuchs zu fehlen beginnt.
Die Lernenden haben das Video einmal ohne Unterbruch gesehen. Sie hatten dabei den Auftrag Notizen zu machen, wie sie es in einer Vorlesung tun würden. Ich habe vorher explizit erwähnt, dass Abkürzungen, Symbole und auch Wörter in ihrer Muttersprache erlaubt sind.
Nachdem Sehen des Videos habe ich kurz zwei mögliche Bearbeitungsstrategien erklärt:
- Das erneute Lesen / Bearbeiten der Unterlagen direkt nach der Vorlesung: In relativ kurzer Zeit (10-20 Minuten) überfliegt man die Notizen, ergänzt Abkürzungen, nummeriert Punkte, setzt Pfeile und evtl. auch Fragezeichen.
- Man spricht mit jemandem über die Vorlesung und versucht so Leerstellen zu finden oder zu ergänzen. Am besten geht das meiner Erfahrung nach mit Mitstudierenden in der gleichen Situation. Muttersprachler geben sich dazu oft weniger gern her. Ein fremdsprachiger Mitstudent hat zwar vielleicht auch nicht alles verstanden, aber die Chance, dass er nicht die gleichen Probleme hatte, sind beträchtlich und so profitieren meistens beide.
Gleich im Anschluss daran mussten die Lernenden zu zweit den Inhalt des Vortrags besprechen und dabei ihre jeweiligen Notizen ergänzen. Ich habe in dieser Phase mitgehört und bei Bedarf Unsicherheiten geklärt. Das meiste konnten sie aber im Partnergespräch und mit dem Wörterbuch selber klären.
Zum Ablschluss ging es dann noch um die verwendeten Strategien. Dazu habe ich den Lernenden meine eigene Mitschrift zu dem Vortrag ausgehändigt, die ihr hier herunterladen könnt. Ihr Auftrag war dabei, ihre und meine Notizen in Partnerarbeit zu vergleichen und Strategien zu benennen. Ich habe deutlich gemacht, dass meine Lösung nicht als Musterlösung sondern als weiteres Beispiel gedacht war. Soweit ich das beurteilen kann, ist das auch so angekommen.
Alles in allem hat das ca. 40 Minuten gedauert. Das Video selbst braucht gute 15 Minuten. Man könnte aber natürlich nur einen Ausschnitt zeigen (z.B. Bis zu den Schlussfolgerungen aus der Studie). Allerdings sind 15 Minuten eine vernünftige Übungslänge: deutlich kürzer als eine echte Vorlesung, aber doch so lang, dass er viele Merkmale einer Vorlesung enthalten kann.
Didaktischer Hintergrund
Wichtig für diese Unterrichtseinheit sind Ideen aus dem Cognitive-Aprenticeship-Ansatz. Experten zeigen anderen, wie sie ein Problem lösen und machen ihre Strategien sichtbar. Wichtig ist, dass nicht nur der Lehrer ein potentieller Experte für das Lernen ist, sondern auch die Peers können das sein. Beim Vergleichen ihrer Notizen werden sich die Lernenden bewusst, wie sie Notizen machen und welche weiteren Möglichkeiten sie ausprobieren könnten.
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