DiGS-Studie: Was nützt Grammatikunterricht?

30. April 2009

Von der DiGS-Studie habe ich seit Jahren immer wieder gehört und ich hätte sogar jemandem erklären können, was dabei untersucht wurde, aber den dicken RGL-Band mit dem Titel „Grammatikunterricht – alles für der Katz?“ (Diehl/Christen/Leuenberger), der auf den Studienergebnissen beruht, hatte ich zwar mal ausgeliehen, aber nur an- und beileibe nicht durchgelesen. Dank der Ledafids-Tagung von letztem Wochenende wurde ich an die Studie erinnert und habe bei der Vals-Asla (Vereinigung für angewandte Linguistik in der Schweiz) ein Paper von Erika Diehl (Leiterin des DiGS-Projekts mit dem Titel „Schulischer Grammatikerwerb unter der Lupe“ gefunden, das die wichtigsten Ergebnisse zusammenfasst (ursprünglich erschienen in: Bulletin suisse de linguistique appliquée 70 (1999), 7-26.). Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich auf die zitierte pdf-Version.

Design und Ziele der DiGS-Studie

DiGs steht für Deutsch in Genfer Schulen. Zwischen 1995 und 1998 wurde untersucht, wie und in welcher Reihenfolge französischsprachige Schüler, die Deutschunterricht besuchen (also unter gesteuerten Bedingungen lernen)

  • Konjugation
  • Deklination (Genus, Kasus und Numerus)
  • und Wortstellung (vor allem Verbposition)

erwerben.

Berücksichtigt wurden 220 Schüler aus 30 Klassen der 4. Primarschulklasse bis zur Maturität (damals 13. Klasse). Pro Klassenstufe gab es mindestens zwei Parallelklassen, an den Übergängen mehr. Die Daten wurden über zwei Jahre hinweg erhoben. Pro Jahr schrieben die Schüler je 4 Aufsätze vom Typ „freies Schreiben“ (mehr Angaben zur Art der Aufgabe fehlen im Paper. Es handelt sich aber auf jeden Fall nicht um Paralleltexte).[2]

Die Studie untersuchte die Auswirkungen des in der Schule angebotenen Grammatikunterrichts auf die Produktion der Lernenden. Dazu wurden in den Schüleraufsätzen alle  (normkonforme wie abweichende) Konjugations- und Deklinationsmarkierungen sowie Satzstrukturen erhoben und mit der Grammatikprogression im Unterricht in Beziehung gesetzt.

Ergebnisse

Die Studie hat gezeigt, dass die Lernenden beim Erwerb der untersuchten Grammatikbereiche einge ganz bestimmte, überindividuelle Reihenfolge einhalten. [4] Die Details lest ihr am besten selber nach [S. 5-10]. Interessant ist aber, dass sie sich – vor allem bei der Deklination und auch beim Satzbau – nicht mit der Grammatikprogression in der Schule deckt. Diese Schulprogression ist demnach einerseits zu schnell und entspricht andererseits nicht der natürlichen Progression [13-14].

Die analysierten Texte zeigen, dass die Lernenden die vermittelte Grammatik „kaum für ihre Produktionen nutzbar machen können“ [3]. Die Lernenden erwerben die Regeln auch nicht so, wie sie präsentiert wurden, sondern filtern aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Material das heraus, was sie für ihre Produktion bauchen indem sie

  • (auch noch in relativ späten Erwebsphasen) Chunks memorisieren
  • lernersprachliche Hypothesen bilden, mit denen sie sich schrittweise der Norm annähern
  • Regeln aus der L1 (Französisch) auf die L2 anwenden (oft in der Syntax, kaum je in der Morphologie)

Die Überführung von gelerntem Regelwissen in implizites Wissen funktioniert laut der Autorin nur bei „relativ ‚einfachen‘ Regeln […], die einen grossen Gültigkeitsbereich haben und bei denen vor allem relativ eindeutige From-Funktions-Beziehungen bestehen“ (ein Bereich, wo das nicht der Fall ist, wäre zum Beispiel die Adjektivdeklination). [4]

Konsequenzen für den Unterricht

Aus diesen Ergebnissen schliesst die Autorin, dass der Fremdsprachenunterricht so gestaltet sein sollte, dass die natürlichen Erwerbsmechanismen zum Zug kommen können. Dazu müsse

  • sich die Schulgrammatikprogression an der natürlichen Erwerbsreihenfolge orientieren
  • der Input möglichst authentisch sein und nicht künstlich gefiltert.
  • man die Anforderungen an die grammatische Kompetenz redimensionieren
  • ein neues Verhältnis zu Fehlern geschaffen werden, die Indizien für den Erwerbsstand der Lernenden sind und deshalb auch anders geprüft werden, da es keinen Sinn mache, Lernende für etwas negativ zu beurteilen, was sie noch gar nicht können können.
  • der Grammatikunterricht stärker binnendiffernziert werden [15-16].

So weit zur Studie. Mein Fazit und meine Fragen dazu werde ich in den nächsten Tagen veröffentlichen.

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (8 Stimmen, durchschnittlich: 4,25 von 5)
Loading...

Abgelegt unter: Fachliteratur,Forschung,Forschung / Theorie / Didaktik,Für Lehrende,Grammatik,Schreiben,Theorie,Unterrichtsidee

1 Kommentar


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
April 2009
M D M D F S S
 12345
6789101112
13141516171819
20212223242526
27282930