Dialekt versus Standardsprache

15. August 2008

Wenn ein deutschsprachiger Nicht-Deutschschweizern bei seinem ersten Kontakt mit Deutschschweizern erleichtert feststellt, wie einfach er doch deren Dialekt versteht, hat er meistens Hochsprache/Standarddeutsch (schweizerischer Prägung) und Dialekt verwechselt.

Damit ihr euch eine Vorstellung vom Unterschied machen könnt, habe ich euch zwei kurze Texte aufgenommen. Beide Texte und die Audioaufnahmen stehen unter der CC Lizenz Namensnennung 2.5 Schweiz.

Schweizerdeutsch:

[audio:zueri.mp3|titles=Züri|artists=Cornelia Steinmann]

(Download als wav und als ogg)

Züri hät ca. 371′ 000 Iwohner. I de Agglo läbed 1.08 Milione Mänsche. Züri isch’s wichtigschti wirtschaftlichi und gsellschaftlichi Zäntrum vo de Schwiz. In Züri und Umgäbig sind vili Grossbanke, Versicherige und internationali Firme dehei. Züri isch aber ned d’Hauptstadt vo de Schwiz. Das isch Bern.

Lut enere Studie us em Johr 2007 isch Züri d’Stadt mit de wältwit höchschte Läbesqualität. Züri hät au sehr gueti Verchersverbindige. D‘ Turischte interessiered sich vor allem für de See, d‘ Altstadt, s’Kulturagebot und s’Nachtläbe.

Züri isch au en Stadt mit relativ langer Gschicht. I de Römerzit hät si Turicum gheisse. Us dem Wort isch denn de Name Züri worde.

Standarddeutsch

[audio:zuerich.mp3|titles=Zürich|artists=Cornelia Steinmann]

(Downlaod als wav und als ogg)

Zürich hat ungefähr 371’000 Einwohner; in der Agglomeration leben 1.08 Mio. Menschen. Zürich ist das wichtigste wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum der Schweiz. In Zürich und Umgebung sind viele Grossbanken, Versicherungen und internationale Unternehmen zuhause. Zürich ist aber nicht die Hauptstadt der Schweiz. Das ist Bern.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2007 ist Zürich die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Zürich hat sehr gute Verkehrsverbindungen. Touristen interessieren sich vor allem für den See, die Altstadt, das Kulturangebot und das Nachtleben.

Zürich ist eine Stadt mit relativ langer Geschichte. In der Römerzeit hiess sie Turicum. Aus diesem Wort ist dann der Name Zürich geworden.

Anmerkungen

Den Text habe ich schnell zusammengestoppelt. Er soll keinen literarischen Ansprüchen genügen. Wichtig ist zu wissen, dass der Dialekttext auf eine Textvorlage beruht und nicht frei gesprochen ist. Das ist ja auch bei den meisten Lehrbuchstexten so. Um ein paar grundsätzliche Unterschiede zwischen Dialekt und Standardsprache zu zeigen, reicht es aber allemal.

Auffallen könnte euch,

  • dass Standarddeutsch „ei“ oft „i“ ist (Schweiz versus Schwiz),
  • Diphthonge, die es im Standarddeutsch nicht gibt wie zum Beispiel „gueti“ (statt gute)
  • ig statt ung wie in *Versicherig“
  • e am Schluss, die oft fehlen wie zum Beispiel „Gschicht“ statt „Geschichte“
  • kein Genitiv („Zäntrum vo de Schwiz“ statt „der Schweiz“) und keine Präteritumsformen (hät gheisse/ isch worde statt hiess/wurde)

Weitere Merkmale findet ihr im Wikipediaartikel Schweizerdeutsch zusammengestellt.

Dass ich auf Dialekt Aglo und auf Hochdeutsch Agglomeration gesagt/geschrieben habe, ist eher umgangssprachlich als ein Kennzeichen für Dialekt, aber die Umgangssprache in der Deutschschweiz ist eben der Dialekt.

Für die Schweizer Dialekte gibt es keine kodifizierte Umschrift. Die meisten Leute, die Dialekt schreiben, schreiben nach Gehör und lassen sich unterschiedlich stark von der Standardsprache beeinflussen. Der erste Text ist also keine genaue Transkription, sondern allenfalls eine Lesehilfe. Gut sieht man das zum Beispiel an meiner Wiedergabe von ä/e-Lauten, die nicht konsequent durchgezogen ist (in der kodifizierten Standardsprache ist das phonologisch gesehen aber auch nicht anders).

Ich komme aus dem Aargau (Region Baden) und bin auch dort aufgewachsen. Meine Studienzeit in Zürich hat meinen Dialekt aber auch beeinflusst. Typisch für meine Herkunft ist aber noch „en“ als weiblicher Artikel. In den meisten Dialekten ist der weibliche Artikel „e“ (e Stadt) in meinem Dialekt fallen der weibliche un der männliche unbestimmte Artikel zusammen (en Stadt, en Maa). Je nach dem, mit wem ich spreche, sage ich aber auch „e“, also „e stadt“.

Anmerkungen möchte ich auch noch, dass es durchaus Deutsche oder Deutschlernende gibt, die Schweizer Dialekte von Anfang an ohne grössere Mühe verstehen. Lernen kann man’s sowieso. So gross ist der Unterschied nun auch wieder nicht.

Dass vielen Deutschen die schweizerischen Varietäten (Standardsprache wie Dialekte) fremd sind, liegt vermutlich unter anderem daran, dass man in Deutschland das Schweizer Fernsehen nicht einfach so empfangen kann. Schweizerische Sendungen sind in Deutschland vor allem über 3Sat (mit Untertiteln) oder über die Webseiten von Schweizer Fernsehen und Radio zugänglich. Hinzu kommt wohl noch, dass viele Deutsche überhaupt keinen Dialekt mehr sprechen, sondern „nur“ eine regionale Variante der Standardsprache. Wenn man das hin- und herschalten zwischen verschiedenen Varietäten nicht gewohnt ist, ist es schwerer, unbekannte Dialekte zu verstehen.

Einfacher haben es ein Teil der Österreicher (die Vorarlberger) und die Lichtensteiner. Ihre Dialekte klingen ganz ähnlich. Sie gehören ebenso wie die Schweizer Dialekte zur allemanischen Dialektgruppe.

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