Textpräsentation

21. Dezember 2007

In einem Lese- und Diskutierkurs wollte ich die bisherigen Vorträge durch eine Form ersetzen, die

  1. den anderen Lernenden mehr Gelegenheit bietet, auf den Vortrag zu reagieren und mitzudiskutieren und
  2. auch das Lesen stärker einbezieht als bei normalen Vorträgen.

Um das erste Ziel zu erreichen, werden die Präsentationen in Kleingruppen verlegt. Jeder Präsentierende erhält eine Kleingruppe von 3 bis maximal 6 Personen zugeteilt, der er sein Thema vorstellt und für die er anschliessend eine Mini-Diskussion moderiert.

Um das Lesen einzubeziehen, müssen die Lernenden einen deutschsprachigen Text als Grundlage für die Präsentation auswählen. Dieser Text wird vorher an alle anderen Lernenden abgegeben, die den Auftrag haben den Text zu lesen und allfällige (sachliche als auch verständnissichernde) Fragen zu notieren. Das heisst auch, dass bei der Präsentation die Zusammenfassung der Texte nur eine untergeordnete Rolle spielt und die Aufgabe des Präsentierenden vor allem darin besteht, sinnvoll zu begründen, warum er den Text wichtig findet oder den Text in einen grösseren Kontext zu stellen.

Auswahl und Bearbeitung der Texte

Grundlage der Präsentation ist ein deutschsprachiger Text, den jeder Lernende selber wählt. Kriterien für die Auswahl sind:

  • die ungefähre Länge: Zum Beispiel 700 Wörter oder „muss auf einer A4-Seite Platz haben und in normaler Schriftgrösse geschrieben sein“. Am besten geht es, wenn man einen Beispieltext vorgibt, der als Modell dient. Bei meinem Kurs waren alle Texte länger als das Minimum, die Lernenden haben lieber glücklicherweise einen interessanten Text gesucht, als Wörter zu zählen, aber übermässig lang war dank der Seitenbeschränkung auch keiner.
  • Interesse: der Lernende soll das Thema interessant finden und wenn möglich noch mehr dazuzusagen haben als im Text steht.
  • Eignung für breites Publikum: Der Text soll nicht so komplex sein, dass er zum Verstehen spezielles Sachwissen voraussetzt und möglichst so, dass nacher möglichst viele der Zuhörenden zu dem Thema auch etwas sinnvolles sagen können. Mit einer ansprechenden Präsentation und etvt. geschickt ausgewählten Präsentationsfragen kann man das aber gut beeinflussen.

Zum gewählten Text schreiben die Lernenden eine kurze Einführung, die den Text einordnet und helfen soll, den Text zu verstehen und sie erstellen eine Wortliste mit Wörtern aus dem Text. Bei mir mussten die Lernenden die Wörter auf deutsch erklären und Beispielsätze angeben. Zudem habe ich Angaben zur Morphologie (GEnus, Stammformen etc. verlangt). Von mir bekommen haben sie ein Musterbeispiel einer Wortliste und Angaben zu Hilfsmitteln (z.B. DWDS und Canoo). Diese Unterlagen habe ich korrigiert und spätestens eine Woche für der jeweiligen Präsentation den anderen (zusammen mit dem Text) abgegeben. Am Ende des Semesters habe ich zu diesem Wortschatz eine Prüfung gemacht.

Durchführung

Pro Lektion waren immer drei Präsentationen geplant. Das heisst, dass ich in 6 Kurstagen 18 Leute unterbringen kann. Die Klasse wird in drei Gruppen geteilt. Jeder Präsentierende arbeitet mit einer Kleingruppe. Nach einer vorher angekündigten Zeit (bei mir 10 Minuten) werden die Präsentationen abgebrochen, die Zuhörenden füllen die Beratungsbögen aus und die Präsentierenden wechseln die Kleingruppe. Mit der neuen Kleingruppe führen sie die selbe Präsentation noch einmal durch, so dass sie die Präsentation insgesamt dreimal halten.

Ablauf einer Präsentation

Im ersten Teil (3 bis max. 5 Minuten) fasst der Präsentierende den Inhalt seines Textes nochmals kurz zusammen, begründet, warum er das Thema gewählt hat, was das wichtige/spannende daran ist und stellt es evtl. in einen grösseren Kontext. Der Rest der Zeit ist für eine Diskussion des Themas reserviert. Der Präsentierende nimmt in diesem Teil die Funktion des Moderators ein, das heisst, dass

  • er dafür sorgt, dass alle zu Wort kommen
  • er einige Fragen vorbereitet haben muss, falls niemand etwas zu dem Thema zu sagen hat
  • er sich aus der Diskussion heraushalten soll, es sei denn, dass die Zuhörer Verständnisfragen zum Thema stellen.

Bewertet wird sowohl die eigentliche Präsentation als auch die Moderation.

Natürlich kann man ein Thema in 5 bis 7 Minuten nicht ausdiskutieren und dass sollte man von Anfang an so kommunizieren, aber die Zeit bietet den Lernenden deutlich mehr Gelegenheit, zu einem Thema Stellung zu nehmen, als es in Grossgruppen möglich wäre. Auch Schüchterne kommen eher zu Wort.

Rolle der Zuhörenden

Die Zuhörenden müssen die Texte zuhause lesen und Unverständliches oder auftauchende Fragen notieren. Im Unterricht müssen Sie Feedback geben (mit vorbereiteten Blättern zum Ankreuzen (Aussprache, Sprechtempo, Verständlichkeit, Moderation und einigen offenen Fragen) und aktiv an der Diskussion teilnehmen. Damit die Diskussion tatsächlich stattfindet, muss zudem immer mindestens einer der Zuhörenden auf die Zeit achten und nach fünf Minuten intervenieren, falls die eigentliche Präsentation bis dahin noch nicht zu Ende ist.

Aufwand, Nutzen , Organisatorisches

Jeweils drei Präsentationen beanspruchen ca. 35 Minuten. In meinen 90 Minuten-Lektionen bleibt also noch viel Zeit für anderes, die Einheit wäre aber auch in 45 Minuten unterzubringen.

Damit alle wissen, was ich von ihnen will, führe ich am Anfang des Semesters mit dem Plenum einen Probelauf durch. Diese Beispieldokumente und der Übungsdurchgang haben sich bewährt.

Für den Fall das eine Präsentation ausfällt, hält man am besten ein Arbeitsblatt, Spiel oder eine andere Aufgabe bereit, die eine Gruppe in 10 Minuten sinnvoll und selbständig bearbeiten kann.

Die Wiederholung ist beabsichtigt. Die Lernenden erfahren so die Wirkung des mündlichen Übens und können sich im Lauf der Präsentationen verbessern. Das betrift auch die Moderationstechnik. Bisher kam das bei allen Lernenden gut an. Da die Gruppe bei jeder Präsentation wechselt, ist es auch nie langweilig. Lernende die sowohl Vortärge als auch Kleingruppenpräsentationen bei mir erlebt hatten, fanden letzteres deutlich sinnvoller.

Ich selbst bin in jeder Runde in einer anderen Gruppe dabei und kann so jedem Präsentierenden einmal Feedback geben und zwar direkt nach der Präsentation, während die Zuhörer den Feedbackbogen ausfüllen. Dadurch, dass ich in jeder Gruppe und bei jedem Präsentierenden mal dabei bin, übe ich auch eine gewisse Kontrolle auf die Durchführung aus und wenn drei Gruppen an verschiedenen Stellen im Klassenzimmer diskutieren bekommt man auch immer ungefähr mit, falls etwas schief läuft und kann interveniern.

Die Texte sollten am besten alle gleichzeitig abgegeben werden. Das macht das Verteilen leichter und ist auch für die Lehrperson einfacher, da man sonst ständig irgendwelchen Texten hinterherrennt.

Der Aufwand für mich ist nicht ganz klein, da ich von jeder Person eine Wortschatzliste mit Hintergrundtext (der soll allerdings nur 3-5 Sätze enthalten) korrigieren und die Unterlagen an alle verteilen muss. Er lohnt sich aber, weil

  • die Lernenden an der Auswahl der Themen beteiligt sind
  • die Texte die Lernenden tatsächlich interessieren und die Zuhörenden die Chance haben einen Experten oder zumindest jemand, der sich für ein Gebiet wirklich interessiert auszuquetschen
  • die Lernenden mehr Übung und Gelegenheit zum Sprechen bekommen
  • die Lernenden Lernfortschritte selber sehen
  • die Wortschatzarbeit individualisiert wird und das selbständige Lernen gefördert wird
  • die Lernenden Hilfsmittel zur Selbständigen Wortschatzarbeit kennenlernen
  • man deutlich sieht, welche Wörter Schwierigkeiten machen
  • die Lehrperson etliche Texte erhält, die sie selbst nie ausgewählt hätte, aber auch andere Klassen durchaus interessieren könnten.
  • die Lehrperson hat Zeit für Einzelbetreuung, während alle sinnvoll beschäftigt sind.

Fazit: Nächstes Semester mache ich das wieder.

PS: So kompliziert wie sich das hier anhört, ist es übrigens nicht ….

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Abgelegt unter: Forschung / Theorie / Didaktik,Für Lehrende,Lesen,Sprechen,Unterrichtsidee,Wortschatz

3 Kommentare

  • 1. DaF-Blog&hellip  |  9. Oktober 2010 um 13:53

    […] Diese Forderung schlägt sich auch im Referenzrahmen nieder, wo wiederholt von vertrauten Themen oder im Fall der Tertiärrbildung vom eigenen Fachgebiet die Rede ist. In einer Klasse einen gemeinsamen Nenner bezüglich Interesse und Vorwissen zu finden, ist aber praktisch unmöglich. Man kann das Dilemma lösen, indem man versucht, ein sehr breites Spektrum an Themen anzubieten, was die Chance erhöht, dass sich jeder hin und wieder direkt angesprochen fühlt, oder man kann Aufgaben kreieren, die man mit einem breiten Spektrum an Materialien bearbeiten kann. Die Lernenden wählen selber einen Text oder Hörtext aus und bearbeiten dann die Aufgabe. Ein Beispiel für dieses Vorgehen, ist zum Beispiel die in diesem Blog beschriebene Textpräsentation. […]

  • 2. Cornelia  |  12. September 2012 um 06:33

    Auf tieferen Niveaus benütze ich dasselbe System für Präsentationen. Das Lesen von Texten fällt für die Zuhörer weg. Was bleibt, ist dass jeder Vortragende seinen Beitrag 3-Mal präsentiert und die Zuhörenden Zeit bekommen, Fragen zu stellen, bzw. ihre Meinung zum vorgestellten Thema zu äussern.
    Das Erstellen von Wortschatzlisten und die Bewertungsbogen für die Zuhörenden kann man je nach Bedarf dazunehmen oder weglassen.

  • 3. DaF-Blog » Sprechen&hellip  |  7. April 2019 um 08:23

    […] Textpräsentation, die ich vor längerem in diesem Blog vorgestellt habe, ist eine mögliche Ausprägung dieser […]


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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