durchschnupfsicher
28. November 2005
Deutsch ist eine produktive Sprache. Damit meine ich, dass man im Deutschen laufend neue Wörter bilden kann. Das vermutlich produktivste Wortbildungsmittel ist die Komposition. Man klebt zwei oder mehr Wörter zusammen und fertig ist das neue Wort. Eines dieser Wörter ist durchschnupfsicher. Es steht auf einer Packung Papiertaschentücher. Das Wort steht in keinem Wörterbuch, aber trotzdem wird es jeder Deutschsprachige verstehen. Was aber heisst dieses Wort genau?
Das Geheimnis liegt in der Wortbildung. Durchschnupfsicher ist ein Kompositium, das heisst ein zusammengesetztes Wort. Es besteht aus den Teilen durch schnupf und sicher. Bei Komposita ist der letzte Bestandteil (fast) immer der wichtigste, also hier sicher. Dieses Grund- oder Basiswort (manchmal nennt man es auch Determinatum) bestimmt die grammatischen Eigenschaften eines Wortes. Durchschnupfsicher ist also genau wie sicher ein Adjektiv. Das Grundwort bestimmt auch die Grundbedeutung des Wortes. Es handelt sich also um etwas, das sicher ist. Genau so ist ein Bootshaus eine Art Haus (so was wie eine Garage für Boote) und ein Hausboot eine Art Boot (auf dem man aber normalerweise wohnen kann).
Das Bestimmungswort (auch Determinans genannt) gibt dann nähere Informationen zum Grundwort. Die Wörter Hausschuh, Damenschuh, Fussballschuh und Lederschuh bezeichnen alles Schuhe, aber den ersten trägt man nur drinnen, der zweite ist für Damen, der dritte ist gut zum Fussballspielen und der vierte ist aus Leder. Das Bestimmungswort in unserem Beispiel ist selbst auch zusammengesetzt. Es heist durchschnupf. Auch dieses Wort steht nicht im Wörterbuch. Wir müssen es also wieder zerlegen, und zwar in die Teile durch und schnupf. Schnupf ist kein vollständiges Wort. Wenn wir bei Canoo schnupf* eingeben, finden wir verschiedene passende Wörter: das Schnupfen, der Schnupfen und schnupfen. Durch ist eine Präposition, kommt aber auch oft als Verbzusatz vor wie in durchbohren, durchstehen etc. Deshalb nehmen wir das Verb. Im DWDS finden wir zum Verb schnupfen zwei Einträge: 1. Schnupftabak in die Nase einführen und 2. sich die Nase putzen. Zu dieser zweiten Bedeutung passt der Schnupfen, eine Krankheit, bei der die Nase läuft und man viele Taschentücher braucht. Die Wörter Schnupfen und Erkältung verwendet man häufig synonym. Unser Wort steht auf einer Packung Papiertaschentücher. Das heisst, dass die zweite Bedeutung für uns interessant ist.
Wie setzen wir das Ganze aber jetzt zusammen? Komposita mit sicher geben häufig (aber nicht nur) an, wovor etwas sicher ist: bruchsicheres Glas bricht nicht, eine abhörsichere Telefonleitung kann man nicht abhören, in ein einbruchsicheres Haus kann man nicht einbrechen etc. Ein durchschnupfsicheres Taschentuch kann man also nicht durchschnupfen. Was aber soll den das heissen? Ganz einfach, dass das Taschentuch nicht reisst, wenn man sich schneuzt und es deshalb nass wird. Die italienische Übersetzung ist dann ganz gewöhnlich: extra resistente. Ähnlich interessant wie das deutsche Wort ist aber die englische Übersetzung: soak-through-secure. Im englischen Grundwortschatz ist das Wort aber sicher auch nicht. 🙂
Deutsche Wörter zu zerlegen und neue zu basteln kann Spass machen. Vielleicht wäre das was für den nächsten Deutschkurs?
Abgelegt unter: Für Lehrende,Für Lernende,Sprachbetrachtung,Wortschatz
10 Kommentare
1. reidan | 28. November 2005 um 19:58
Mir gefällt das Kompositum „Dämmerungseinbruch„.
2. adrian | 28. November 2005 um 21:03
Liebe Cornelia Steinmann,
Über deutsche Sprache, die Produktivität der deutschen Sprache
Deutsch ist relativ einfach. Ein bisschen Latein, die Deklinationen, der bestimmte Artikel der, die , das. Alles ist ganz logisch!
Über Komposita! Das kann ein gutes Beispiel sein:
Hottentotten- Beutelratten- Lattengitter – Lattengitterkotter – Lattengitterkotterbeutelratten – Attentäter – Mutter – Hottentottenmutter – Stottertrottel – Hottenttotenstottertrottelmutter – Hottentottenstottertrottelmutterattentäter- Beutelrattenlattengitterkotter – Attentäter – Lattengitterkotterbeutelrattenattentäter – Hottentottenstottertrottelmutterattentäter-
HOTTENTOTTENSTOTTERTROTTELMUTTERLATTENGITTER-
KOTTERBEUTELRATTENATTENTÄTER
Das Substantiv ist grammmatisch richtig, nicht wahr?
3. Cornelia | 28. November 2005 um 21:17
Äh, mit diesem Kompositum habe ich so einige Mühe. Erstens fällt es mir schwer, zu bestätigen, dass es grammatisch richtig sei (weil ich bei diesem Rattenschwanz nicht überschauen kann, ob da evtl. noch irgendwelche Fugenlaute fehlen könnten) und zweitens verstehe ich einzelne Elemente (z.B. Kotter) nicht.
Aber selbst wenn es grammatisch ist, dann ist es doch nicht akzeptabel. Zumindest in meinen Augen. Denn einerseits muss einem Wort auch eine bestimmte Semantik zugeschrieben werden können (und die Relationen der einzelnen Teile sind mir nicht klar), und andererseits ist der Bandwurm meiner Ansicht nach gar nicht mehr verarbeitbar, zumindest beim Hören. Semantische Erklärungen werden gerne entgegen genommen, auch wenn mir ehrlich gesagt die Dampfschiffkapitänsmützenknopffabriksbesitzertochter besser gefällt (auch was das Wortmaterial angeht). Das Kriterium der Verstehbarkeit ist allerdings wohl auch nicht erfüllt.
4. adrian | 28. November 2005 um 21:26
Sie haben Recht! Kotter- Käfig, Arrest, Haft, Deutsch ist leider nicht meine Muttersprache! Entschuldigen Sie bitte meine Unklarheit!
5. adrian | 28. November 2005 um 21:41
Waffenstillstandsverhandlungen klingt schöner!
6. Joachim | 28. November 2005 um 21:50
Lohnend was im Corpus von wortschatz.uni-leipzig.de von der Donaudampschifffahrt noch so alles zu finden ist – Mit Belegstellen!
7. adrian | 28. November 2005 um 22:10
Donaudampfschiffsgesellschaftskapitänsmützensternlein – das beste Beispiel oder Balletttruppe, jetzt so geschrieben?
8. Jens-Rainer Wiese | 21. Januar 2006 um 16:54
Vielen Dank für den Link auf die Blogwiese, den ich erst jetzt entdeckt habe, weil ihn heute tatsächlich jemand benutzte!
Mein Lieblingskompositum ist:
„Falschirmspringerstiefelsohle“
Die ist extrem dick und weich.
Gruss, Jens-Rainer Wiese
9. Karin Bauer-Weisenstein | 29. Dezember 2007 um 19:46
Wie wär’s mit
Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitänsgemahlin
Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitänsmützenkordel
Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitänsstellvertretersgattin?
Ich kannte b is jetzt immer nur die Varianten mit der „gesellschaft“ drin, die machen das Wort gleich noch mal grösser!
Der Kontaktlinsenverträglichkeitstest ist auch nicht schlecht.
Gruss, Karin
10. DaF-Blog » Wortbild&hellip | 12. September 2012 um 06:08
[…] nicht im Wörterbuch findet. Ein Beispiel, dass ich früher mal hier im Blog beschrieben habe ist durchschnupfsicher. Auch die Lernenden selber mit solchen Bildungen experimentieren zu lassen und über die […]