In der Strafkolonie – Franz Kafka


Entstanden:

1914, wahrscheinlich während einem Urlaub im Oktober fertig gestellt.

Zusammenfassung:

Ein Forschungsreisender ist auf Wunsch des Kommandanten der besuchten Strafkolonie in den Tropen Zeuge der geplanten Exekution eines Soldaten, der die Wache und das stündliche Salutieren vor der Tür seines Offiziers verschlief und, als er dafür geschlagen wurde, dem Offizier drohte und an den Kragen wollte. Ausser dem stumpfsinnigen, ergebenen, verwahrlost und hündisch wirkenden Verurteilten sind nur noch der dessen Führkette haltende Soldat und ein trotz der Hitze Uniform tragender und eifrig um die Exekutionsmaschine bemühter, mit der Exekution betrauter Offizier anwesend, der gleichzeitig noch Gerichtspräsident ist. Nachdem er die Inspektion erledigt hat, nötigt der zwei Spitzentaschentücher in seinen Ausschnitt gestopft habende Offizier den Reisenden, in einem der zahlreich vorhandenen Rohrsessel Platz zu nehmen und erläutert ihm, da der neue Kommandant diese Ehernpflicht versäumt hat, den aus Bett, Egge und Zeichner bestehenden Apparat. Auf den unteren Teil der Aparates, das Bett, werde der Verurteilte bäuchlings gelegt und mit Riemen an Händen, Füssen und Hals festgeschnallt, ein Filzstumpf am Kopfende des Bettes hindere ihn am Schreien. Darauf setze sich das Bett in mit den Eggen genau abgestimmte Zitterbewegungen. Die Eggen, jeweils einzelne für die jeweiligen Körperteile, hängen als ganzes an einem langen Stahlband, dass sich zur Stange strafft, sobald die Spitzen den zu Exekutierenden gerade knapp berühren. Bett und Zeichner, beide je mit einer elektrischen Batterie betrieben, wirken wie grosse, schwarze Truhen und sind in den Ecken mit Messingstangen verbunden. Die dazwischenschwebende Egge besteht aus Glas, damit der tödliche Tätowiervorgang gut überblickbar ist. Darin sind lange, schreibende und kurze, wasserausspritzende, das Blut wegwaschende Nadeln eingelassen.
Ist die erste Anlage der Schrift fertig, wird der Körper herumgewälzt und eine speziell präparierte Watteschicht auf dem Bett verschliesst die Wunde sofort. Beim erneuten Umwälzen reissen Räder am Rand der Egge die Watte weg und die Schrift wird weiter vertieft. Die Watte landet wie das Blutwasser in einer neben der Maschine befindlichen Grube. Die auf den Leib zu schreibenden Urteile stammen vom alten Kommandanten, der laut der Aussage des Offiziers Soldat, Richter, Chemiker, Konstrukteur, Zeichner und Vater der Strafkolonie in einem war. Sie sind das kostbarste, was der Offizier hat. Er lässt sie nie durch den Reisenden berühen, der sie nicht lesen kann.
 Die eigentliche Schrift umgibt den Körper in einem schmalen Gürtel, der Rest ist Verziehrung. Die Schrift darf erst nach 12 Stunden töten, nach 6 Stunden setzt ein, was der Offizier Erkenntnis nennt. Vorher lebt der Mann wie früher, hat nur Schmerzen. Nach zwei Stunden wird der Filz entfernt, der Mann kann nicht mehr schreien, aus einem elektrisch geheizten Napf kann der Mann Reibrei essen, soviel er erwischt. Um die sechste Stunde speien alle den letzten Bissen dorthin, wo das Gesicht des Offiziers gewesen wäre, würde sich dieser nicht jeweils bücken. Mit seinen Wunden entziffert der Veruteilte 6 Stunden lang den Urteilsspruch und stirbt dann nach „vollbrachter Arbeit“ um sogleich auf Blutwasser und Kleider niederzuklatschen und darauf verscharrt zu werden.

Der Verurteilte, der allen Ausführungen aufmerksam aber verständnisslos, da sie auf französisch geführt wurden, gefolgt ist und wegen dieser Aufmerksamkeit einmal an der Kette zurück und somit zu Boden gerissen wurde, weil dies den Reisenden aber zu sehr ablenkte vom Offizier wieder aufgestellt und dem Soldaten zur guten Behandlung  empfohlen wurde, wird nun entkleidet, indem ihm der Soldat auf ein Zeichen der Offiziers die Kleider hinten aufschlitzt und ihn aufhebt und schüttelt, bis die Fetzen abgefallen sind. Der Verurteilte wird angeschnallt und streckt dabei den linken Arm orientierungslos gerade in die Richtung des Reisenden. Ein Riemen reisst, was den Offizier zu einem längeren Diskurs über die die Maschine betreffende Sparpolitik des neuen Kommendanten veranlasst und er ist besorgt den Ablauf zu verzögern oder dem Reisenden einen schlechten Eindruck zu vermitteln. Als der von den Damen des Kommandanten mit Zuckersachen vollgestopfte Verurteilte, als er den Filzstumpf, an dem im letzten Vierteljahr hundert Männer gesaugt und gebissen hatten, hätte in den Mund nehmen sollen, erbricht, bekommt der Offizier einen Wutanfall. Während der Soldat die verunreinigte Maschine säubert, erzählt der Offizier dem Reisenden vertraulich von den unzähligen Zuschauern vergangener Tage und der Gefahr, die dem Lebenswerk des alten Kommendanten, der Vollzugsmaschine der Gerechtigkeit, vom neuen Kommandant und seinen Damen droht. Während Soldat und Verurteilter sich um den Reisbrei balgen, wobei letzterer nur die Zunge zur Verfügung hat, erläutert der Offizier, der abwehrende Gesten des Reisenden, den er für sich eingenommen glaubt, in seinem Sinne missdeutet, dem Reisenden, dass der Kommandant und seine Damen die leiseste Missbilligung dem Verfahren gegenüber missbrauchen werden, um einen Rundschlag gegen ihn, den Offizier und seine Lebensaufgabe zu führen.
Obwohl der Reisende seinen Einfluss leugnet, um in nichts hineingezogen zu werden, will ihn der Offizier für seine Zwecke einspannen. Er entwickelt ihm in allen Details, wie der Reisende bis zur am nächsten Tage stattfindenden Sitzung mit seinem Urteil hinterm Berg halten und den Kommandanten im Glauben lassen solle, er sei auf dessen Seite. Erst bei der Sitzung solle er, egal in welchem Stil, seine wahre Meinung kund tun, der Offizier werde ihn selbstverständlich unterstützen. Zögernd, obwohl im Grunde überzeugt, lehnt der Reisende ab und bekennt Farbe als Gegner des Verfahrens, der den Kommandanten schon lange überzeugen wollte, dieses aufzugeben, obwohl ihm die ehrliche Überzeugung des Offiziers nahe geht. Er will sich von niemandem zum Werkzeug machen lassen und will dem Kommandanten seine Meinung nur unter vier Augen, kurz vor der Abreise kundtun. Darauf lässt der Offizier den Verurteilten, der nicht weiss, wie ihm geschieht, frei und sucht, da es Zeit sei, ein neues, für den Reisenden unlesbares Urteil hervor. Diesmal steht „sei gerecht“ statt „ehre deinen Vorgesetzten“. Während der Offizier die Räder des Zeichners umgruppiert, unterhält der Verurteilte, der sich mit dem Soldaten angefreundet hat diesen, indem er sich in seinen hinten zerschnittenen Kleidern präsentiert. Der Offizier entkleidet sich und wirft seine Kleider mit Sorgfalt in die Grube zusammen mit dem Degen, den er vorher noch zerbricht. Der Reisende billigt das Verhalten des Offiziers. Er hätte in analoger Lage analog gehandelt. Der Offizier legt sich aufs Bett, das ihm geradezu empfängt und wird nur angeschnallt, weil der Verurteilte es aus Rache tut. Die Exekution beginnt von selbst, das Rad, das hätte kreischen sollen, tut’s nicht. Während der Reisende versucht, den Soldaten und den Verurteilten, der die Hinrichtung offensichtlich geniesst, zu vertreiben, öffnet sich der Zeichner und beginnt Räder auszuspucken. Die Maschine geht in Trümmer, der Reisende will sich um den Offizier kümmern und sieht, dass die Maschine keine Folter, sondern Mord vollzieht. Der Körper löst sich auch nicht von der Egge, vielmehr muss der Reisende die Anwesenden zwingen, ihm zu helfen, den Körper von der Egge zu heben. Die versprochene Erlösung ist auf dem Gesicht des zu Tode Gemarterten nicht zu entdecken.
In der Kolonie, im Teehaus, das von verkommenen Häusern umgeben und von armem, gedemütigtem Volk bevölkert ist, zeigt man dem vom Verurteilen und dem Soldaten begleiteten Reisenden das Grab des Altkommandanten, das auf dem Friedhof nicht geduldet wird. Unter einem Tisch findet sich ein niedriger Stein mit der folgenden Inschrift: „Hier ruht der alte Kommandant. Seine Anhänger, die jetzt keinen Namen tragen dürfen, haben ihm das Grab gegraben und den Stein gesetzt. Es besteht eine Prophezeiung, dass der Kommandant nach einer bestimmten Anzahl von Jahren und aus diesem Haus seine Anhänger zur Eroberung der Kolonie führen wird. Glaubet und wartet.“
Die Umstehenden lächeln, als sei die Inschrift lächerlich, der Reisende aber geht, einige Münzen zurücklassend, zum Hafen und besteigt ein Schiff. Nur durch eine Drohgebärde mit einem Tau kann er den Verurteilten und den Soldaten, die ihm kurze Zeit später gefolgt sind, am Besteigen des Dampfers hindern.

Text bei Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de/kafka/strafkol/strafkol.htm

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Letzte Bearbeitung am 06.08.03 von Cornelia Steinmann.
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