etwas zu sagen haben

25. August 2013

Eine meiner nervigern Erinnerungen an Sprachunterricht aus der Lernendenperspektive ist folgende: Nach den ersten paar Wochen Sprachunterricht in einer nicht-indoeuropäischen Sprache nach der Grammatikübersetzungsmethode sagte unsere Lehrerin eines Tages und sehr unvermittelt „So, jetzt sprechen Sie“. Die 10 Kursteilnehmer taten das, was sie auch vorher schon gemacht hatten. Sie schwiegen. Das lag eher nicht  an den Lernzielen der Teilnehmer. Die meisten -auch ich – wollten die Sprache lernen, um sie im Umgang mit Freunden oder für Reisen im Zielsprachenland einzusetzten und nur eine Teilnehmerin aus rein sprachsystematischem Interesse.  Verantwortlich für das Schweigen war neben der sehr unklaren Aufgabenstellung (worüber denn bitte und zu welchem Zweck), auch die Tatsache, dass wir bisher ausser den Farben und den Bezeichnungen für Möbel praktisch nichts gelernt hatten.  Dazu fiel uns schlicht nichts Äusserungswertes ein. Wir hatten also weder inhaltlich noch sprachlich etwas zu sagen.Wir hätten uns vielleicht gegenseitig unser Zimmer oder unsere Wohnung vorstellen können, aber um darauf zu kommen, hätten wir Hilfe gebraucht, den so naheliegend ist das Thema im Unterrichtssetting nun auch wieder nicht.

Zu einem Thema nichts zu sagen zu haen, ist ein Phänomen, dass im Sprachunterricht immer wieder vorkommt und zwar auch bei fortgeschritteren Lerndenden – wenn auch hoffentlich selten so krass wie oben beschrieben. Tatsache ist aber, dass die Themen, die wir im Sprachunterricht behandeln, nicht alle Lernenden gleichermassen interessieren, auch wenn wir sie noch so sorgfältig auswählen. Selbst wenn – was Gott sei dank sehr oft der Fall ist – die Lernenden dem Unterricht und den dort behandelten Themen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt sind und sich mit anderen in der Zielsprache austauschen wollen, heisst das nicht, dass sie zu jedem Thema schon eine Meinung und den entsprechenden Wortschatz haben. Wenn ich Gruppen-Gesprächsanlässe plane, versuche ich das Äusserungspotential der Teilnehmer durch das Schrauben an mindestens einem der folgenden Parameter zu erhöhen.

Vorbereiten

Um sich eine Meinung zu bilden, Argumente zu sammeln oder in eine Rolle einzufinden braucht man Zeit zum Denken. Die kann man Lernenden auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Ausmass geben, zum Beispiel

  • als Hausaufgabe (mit der üblichen Vorbereitungsunsicherheit),
  • als kurze Einzelarbeit,
  •  in Murmelgruppen, was sich vor allem als Vorbereitung auf Diskussionen im grösseren Kreis eignet,  oder
  • man kann sie bewusst in das vorangegangene Unterrichtsgeschehen einbetten, indem die Lernenden zum Beispiel eine thematisch angepasste Umfrage ausfüllen, ein Video oder ein Text zum Thema bearbeitet wird etc.

All diese Aktivitäten aktivieren immer auch schon Wortschatz zum Thema. Natürlich kann zur Vorbereitung auch gezielte Wortschatzarbeit zum Thema gehören, meiner Erfahrung nach ist es besser, wenn der Wortschatz, der benötigt wird, nicht zum grössten Teil direkt vor Bearbeitung der Aufgabe eingeführt wird.

Mitbestimmung  des Themas bzw. seiner Ausgestaltung

Wenn man die Lernenden bei der Wahl des Themas einbeziehen möchte, kann man entweder die Auswahl an einzelne Lernende delegieren (z.B. in Form einer Textpräsentation, wobei man die Texte auch weglassen und die Präsentationsform für klassischere Vorträge einsetzen kann) oder man kann Themen oder Diskussionsthesen sammeln (im Plenum oder auf kleinen Zetteln) und die Lernenden dann darüber abstimmen lassen. Das geht zum Beispiel einfach, in dem man die zur Auswahl stehenden Themen/Thesen auf eine Flipchart schreibt und jeder dann beim rausgehen einen Strich (oder mehrere bei einer grösseren Auswahl) setzten darf. Die Auswahl bzw. Reihenfolge der Themen wird dann durch die Anzahl Striche bestimmt.

Es gibt aber auch gute Gründe dafür, dass die Lehrperson (oder das Lehrmittel) das Thema, über das gesprochen werden soll, vorgibt, zum Beispiel, weil man auch dann ein gewisses Mass an Wortschatz zu Politik etc. braucht, wenn man sich nicht dafür intressiert oder weil die Zeit, die für die Themenfindung benötigt würde, im Unterricht gerade nicht zur Verfügung steht oder die Lehrperson die Zeit, die für die Korrektur von Lernendeninputs benötigt würde (z.B. Wortschatzlisten) gerade nicht aufbringen kann. Dann bietet es sich an, innerhalb eines Themas leichte Variationsmöglichkeiten anzubieten, unter denen die Lernenden einer Gesprächs- oder Diskussionsgruppe auswählen können. In einem der nächsten Beiträge werde ich ein Beispiel für solche Auswahl-Diskussions-Inputs veröffentlichen.

Vorgabe eines Standpunktes

Manchmal hilft es auch, die Rolle, die in einer Diskussion oder einem Gespräch eingenommen werden soll, durch Vorgaben einzugrenzen. In klassischen Rollenspielen macht man das durch Zuweisung von Funktionen (Kunde, Verkäufer, …), Charaktereigenschaften oder Gemütszuständen (wütend, müde), Handlungsabsichten (du möchtest wissen, wann der nächste Zug fährt etc.). In Diskussionen kann man zum Beispiel Standpunkte oder sogar Argumente vorgeben, die dann  (möglichst überzeugend) ausformuliert werden müssen.

Die vorgegebene Rolle kann helfen, Standpunkte einzunehmen, die einem nicht vertraut sind oder sogar fernliegen, aber auch einfach nur Argumente zu sammeln, weil die Möglichkeiten beschränkter sind. Eine vorgegebene Rolle kann das Bewältigen einer Aufgabe aber manchmal auch erschweren. Wie immer kommt es letztendlich auf die Umsetzung an.

 

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1 Kommentar

  • 1. DaF-Blog » Auswahl-&hellip  |  9. April 2014 um 21:57

    […] mehr als einem halben Jahr habe ich im Beitrag “Etwas zu sagen haben” versprochen, ein Beispiel für Diskussionsinputs zu veröffentlichen, aus denen die […]


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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