Forschung zum Hör-Sehverstehen

2. Januar 2008

In der Zeitschrift Language Learning and Technology (LL&T) findet man wissenschaftliche Artikel zum technologiegestützten Fremdsprachenunterricht oder zur technologiegestützten Fremdsprachenerwerbsforschung (die aktuellste Nummer vom Oktober 2007 widmet sich dem Thema Lesen).

In einem älteren Beitrag (Februar 07) mit dem Titel „Are they watching?“ beschäftigt sich Elvis Wagner von der Columbia University mit der Frage, ob Lernende bei Hörverstehenstests mit Videos das Video selbst überhaupt beachten, oder ob sie sich nur auf den auditiven Teil konzentrieren und das Video sie also eher stört.

Da ein Video nonverbale Kommunikation (wie Gesten und Mimik) sichtbar macht, kommt es näher an die meisten realen Kommunikationssituationen (Telefongespräche und Radiohören etc. einmal ausgenommen) heran als die im Unterricht üblichen Tonbänder und sollte es in den Lernenden ermöglichen, diese nonverbalen Hinweise zum Verstehen zu nutzen. Wagner hat nun untersucht, ob die Probanden das Video tatsächlich ansehen, oder ob sie sich vielmehr auf die Fragebögen oder den auditiven Input allein konzentrieren (also zum Beispiel mit geschlossenen Augen hören). Er kam zum Schluss, dass sich die Probanden in 69% der Zeit (also mehr als zwei Drittel) dem Monitor zuwenden. Das heisst allerdings noch nicht, dass sie tatsächlich auf nonverbale Hinweise achten, aber es spricht gegen die These, dass die Lernenden sich durch ein Video beim Hören gestört fühlen könnten. Gegen diese These spricht auch, dass  die Aufmerksamkeit gegenüber den Videos im Verlauf des Tests wider erwarten nicht ab, sondern sogar leicht zunahm (allerdings nicht signifikant). Wagner schloss daraus, dass sich die Lernenden durch das Video beim Verstehen nicht abgelenkt fühlten und es nicht nutzlos fanden. Allerdings war die individuelle Varianz zwischen den einzelnen Probanden gross. Einzelne sahen sich die Videos komplett an, andere nur in Bruchteilen (der niedrigste Prozentsatz lag bei 17%). Bei dialogischen Texten wandten sich alle Lernenden leicht häufiger dem Monitor zu als bei monologischen Texten (Vortrag zu einem ihnen nicht vertrauten Thema). Wagner hatte das erwartet, weil bei dialogischen (häufig eher emotional gefärbten) Texten auch mehr nonverbale Hinweise vorkommen als bei einem (eher nüchternen) Vortrag. Nonverbale Hinweise helfen dem Hörer, Sprecher und Sprecherrollen zu identifizieren, was Lernenden bei reinen Hörtexten manchmal schwer fällt. Als weiteren möglichen Grund für die stärkere Konzentration auf das Video nannte er auch die Aussagen einiger Lernenden, dass die dialogischen Videos interessanter gewesen seien.

Leider konnte die Studie einige wichtige Fragen nicht berücksichtigen. Aus Datenschutzgründen konnte Wager nicht ermitteln, ob Lernende, die sich auf das Video konzentrierten, besser oder schlechter abschnitten als die anderen. Auch Niveau und kultureller Hintergrund der Lernenden wurde nicht berücksichtigt.

Wagners Ergebnisse sind (wie oft in der Forschung) nicht wahnsinnig sexy, aber sie widersprechen auch nicht der relativ weit verbreiteten Auffassung, dass Videos durch den Einbezug des Sehens das Verstehen unterstützen können. Um diese These zu bestätigen, müsste man aber tatsächlich die Testergebnisse in die Untersuchung einbeziehen. Immerhin scheinen viele Lernende den zusätzlichen Inputkanal zu schätzen. Auch wenn viele der visuellen Hinweise kulturspezifisch sein sollten, wäre das meiner Meinung nach kein Grund, sie nicht zu zeigen, da auch das Interpretieren von Gesten, Mimik etc. zur Kommunikationskompetzenz gehört. Lernende von mir in einem Prüfungsvorbereitungskurs, in dem es beim Hörverstehen hauptsächlich um die Textsorte Vortrag ging fanden Vorträge mit Video, wo sie den Sprechenden sahen, einfacher als solche ab Band, ohne visuellen Input. Sie fanden, dass die Gestik und das Bild des Sprechenden es einfacher machten, Pausen und wichtige Stellen zu erkennen und sich über längere Zeit zu konzentrieren.

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6 Kommentare

  • 1. Deutsch lernen online&hellip  |  3. Januar 2008 um 13:29

    Sehen und hören…

    Im DaF-Blog hat Cornelia einen interessanten Beitrag zur Forschung über Hör und Sehverstehen veröffentlicht. Es handelt sich um eine ausführliche, deutschsprachige Zusammenfassung von einem längeren Forschungsbeitrag aus der englischsprachigen Fac…

  • 2. gattalcaffe  |  8. Januar 2008 um 21:38

    Hm, diese Studie überzeugt ja irgendwie gar nicht. Ist doch logisch, dass Lerner, wie alle anderen Menschen auch, das natürlichste der Welt tun und Gestik, Mimik und Geschehen beobachten. Schon die Fragestellung basiert ja auf äussert merkwürdigen Annahmen, als ob Fremdsprachenlerner Aliens wären und anders wahrnehmen würden als normale Menschen. Hat der Mensch selber mal eine Fremsprache gelernt?
    Es gibt sicher viele genial einfache Fragestellungen aber diese scheint mir ja wirklich unwissenschaftlich ausgedrückt „unnötig“…

  • 3. Cornelia  |  9. Januar 2008 um 21:39

    Die Fragestellung ist dadurch zu erklären, dass es in der Fachdidaktik die Diskussion gab und immer noch gibt, ob man beim Hören nicht „störende Nebeneffekte“ ausklammern sollte, so dass sich die Lernenden ganz auf das Hören konzentrieren können. Besonders bei Tests wurde das oft diskutiert.

    Zudem ist es in der Didaktik oft so, dass man sich in der Didaktik oft auf Dinge stützt, die einem „logisch“ erscheinen. Oft sind solche Entscheidungen aber von subjektiven oder allgemeinen Auffassungen geprägt, die nicht unbedingt immer sinnvoll sein müssen (auch wenn sie es natürlich auch oft sind). Eine wissenschaftliche Überprüfung ist deshalb manchmal ganz sinnvoll, und kann dazu führen, dass althergebrachte Lehrgrundsätze hinterfragt werden. Auf den Unterrichtsalltag hat das aber zugegebnermassen oft keine Auswirkungen.

  • 4. HelmutThiel  |  17. Dezember 2008 um 09:35

    Hörtexte auf CDs – ist das noch zeitgemäß?

    Alle aktuellen Lehrwerke beinhalten Hörtexten / Hörübungen auf CDs. In meiner Schulzeit gab es so etwas zunächst noch nicht und im Fremdsprachenunterricht (Englisch und Französisch) hörten wir die Sprache nur von unserem nicht muttersprachlichen Fremdsprachenlehrer, der zumindest Französisch selbst nur sehr unzureichend beherrschte. Dann kamen Tonbänder auf den Markt, und wir hatten die Gelegenheit, Muttersprachler im Original zu hören. Was für einen Respekt hatten wir damals vor Technik und Fremdsprache! Wow, und wie sich das anhörte!
    Im DaF/DaZ-Unterricht in Deutschland leben die Kursteilnehmer aber in einer komplett gewandelten Medienlandschaft und in einer deutschsprachigen Umgebung – Muttersprachler im Original zu hören ist kein Problem. Auch der DaF/DaZ-Lehrer ist meist Muttersprachler, wozu also noch Hörübungen auf der CD?
    Mögliche Antworten:
    1. Beim wiederholten Anhören etwa von Dialogen wird das Gehör für die Aussprache und Intonation sensibilisiert.
    2. Die Kursteilnehmer sollen sich nicht nur an eine Stimme gewöhnen, also unterschiedliche Stimmlagen, Färbungen etc. kennen lernen.
    3. Die Teilnehmer sollen sich die Aufgabe (den Text) auch zu Hause anhören können, um das Verstehen zu üben. (= um beim gleichzeitigen Lesen von Texten mit der Lautung vertraut zu werden)
    4. Es lassen sich diverse alltägliche Hör-Situationen in den Unterricht einbringen, (Durchsage am Bahnhof/ Flughafen, Anrufbeantworteransage etc.) die so kennen gelernt und verstanden werden können.
    5. Hörtexte werden zur Wissensvermittlung, zur Darstellung des Lernstoffs, zur Präsentation von Redemitteln, als Anwendungsbeispiele der eingeführten Grammatik, etc. genutzt.
    6. Die Kurteilnehmer werden mit der gesprochenen Sprache konfrontiert, die sich ja von der Schriftsprache unterscheidet und sie können „authentische Kommunikationsbeispiele“ verstehen, und ggf. einüben.
    7. Da die Kursteilnehmer HV-Texte in der Regel nicht nachlesen können, benutzt man diese Möglichkeit häufig, um Ausdrücke, Redemittel und Wortschatz einzubringen, den man schriftlich nicht präsentieren will. So kann man quasi selektives Hören (statt Lesen) erzwingen.

    Braucht man Hörtexte um diese Lernziele zu erreichen, bzw. sind diese hierfür überhaupt geeignet?

    Einen Teil der Ziele kann man auch durch andere Angebote, wie z.B. vertonte Lesetexte erreichen. In Hörübungen sollen aber häufig authentische Situationen dargestellt werden, in denen sich der Lerner wiederfinden soll. Es gibt aber nur wenige authentische Situationen für das „nur Hören“ : das Telefonieren, das, wie jeder der einmal eine Fremdsprache gelernt hat weiß, eine der schwierigsten Aufgaben ist, die man als Lerner gewöhnlich so lange wie möglich vermeidet, das Radio Hören und das Hören von Hörbüchern. (Mit solchen Aufgaben haben wir es aber nicht im A-Stufen-Bereich sondern frühestens im B bzw. C Bereich zu tun)
    Moderne Lehrwerke sind am Europäischen Referenzrahmen und an einem kommunikativen Unterrichtskonzept orientiert. Der Referenzrahmen beschreibt explizit kommunikative Fähigkeiten. Mündliche Kommunikation beinhaltet aber nicht unwesentlich auch Mimik und Gestik, Bewegungsmuster, Nähe und Distanz, Pupillengröße des Gegenübers, vegetative Symptome und Blickkontakt (man zeigt Verstehen oder Nichtverstehen, Zustimmung oder Ablehnung etc.) wenn man also den Dialog eines Paares verstehen will, sollte man ihn auch sehen können. In Hörtexten wird das konzentrierte Zuhören geübt, ohne dass die kommunikative Situation und die nonverbale Kommunikation sichtbar wird. Man sollte diese Art Hörübungen also durch Filmsequenzen ersetzen. (Generell sind zum Verständnis wichtig: allgemeiner Kontext, persönlicher, sozialer und sprachlicher Kontext. Üblicherweise werden HVs mit Situationsfotos und ggf. Introtexten eingeleitet, die gewähren sollen, dass der jeweilige Kontext verständlich wird. Meiner Meinung nach ist dies ein Ersatz für technische Möglichkeiten, die heutzutage gegeben sind: Das Filmen von Sprechsituationen.
    Durch Verfilmen der Sprechsituationen lassen sich nicht zuletzt auch landes- oder situationstypische Muster der non-verbalen Kommunikation zeigen und den Lernern näher bringen. So wird jedem Japaner, der ein Video sieht, auf dem z.B. zwei Deutsche kommunizieren auffallen, dass es zu wesentlich mehr Blickkontakt zwischen den Rednern kommt, dass vielleicht der Abstand der Personen ein anderer ist, als in Japan etc. Es können also mit gefilmten Sprechszenen auch interkulturelle Unterschiede deutlich werden, die das Leben in Deutschland verstehen helfen.)
    Auch Phonetik lässt sich leichter lehren, lernen und imitieren, wenn dabei ein Mund zu sehen ist.
    Es spricht auch nichts dagegen, dass bestimmte Texte vom Lehrer vorgetragen werden. Immerhin kann man diesem zusehen und er hat seine Zuhörer im Blick und reagiert auf nonverbale Kommunikation (Unverständnis, Langweile etc.)

    Manche Hörtexte fördern selektives Hören, weil sie schwierig sind, die TN leicht überfordern – der Lehrer würde das Nichtverstehen bemerken und sich einfacher fassen, wiederholen etc.
    Natürlich wäre auch hier die Filmsequenz die bessere Darstellungsform. Bleibt die Frage, ob man zu traditionellen Übungsformen wie „Pattern Drills“, vertonten multiple choice Aufgaben etc. als zusätzliche Angebote zurückkehren sollte.

  • 5. arsim selimi  |  27. Januar 2009 um 13:52

    Ich wollt mal wiesen wozu man Phonetik im Daf braucht?

  • 6. Cornelia  |  27. Januar 2009 um 14:31

    Phonetik braucht man vielleicht nicht als Wissenschaft, aber man muss die einzelnen Laute lernen, und das war hier gemeint.


Linktipp

SPRACHLICH: Dies, DaF, ecetera. Für Lernende (Aussprache, Grammatik, Hörverstehen und mehr) und Lehrende.
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